Quatsch oder Aufklärung?
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<strong>Quatsch</strong> <strong>oder</strong> <strong>Aufklärung</strong>?<br />
liner Mächtigen eine neue Ratlosigkeit, einen<br />
Zustand von Erschöpfung und Selbstzweifel.<br />
Am Ende des nachdenklichen Artikels stehen<br />
dann endlich Fragen, die so grundsätzlich sind,<br />
wie Satiresendungen sie schon seit Langem<br />
stellen: „Wieso seid ihr bei Putin so hart, aber<br />
Erdogan darf alles? Wieso ist Geld für Banken<br />
da, für Flüchtlinge, aber nicht für Schulen?“<br />
(Hildebrandt 2016)<br />
Satire kann aber auch etwas, das sie von<br />
seriösem Journalismus unterscheidet: Aussprechen,<br />
was auf der Zunge liegt, sich nicht<br />
bremsen lassen von Sitte und Ausgewogenheit,<br />
artikulieren, was auch wahr ist, selbst<br />
wenn es nicht die ganze Wahrheit ist – zum<br />
Beispiel dass es nerven kann, wie sehr Bundespräsident<br />
Joachim Gauck von sich selbst ergriffen<br />
ist. Man kann ja gleichwohl froh sein, ihn<br />
zu haben. Auch solche Teilwahrheiten gehören<br />
zum Meinungspluralismus, ja zur politischen<br />
Bildung.<br />
Im besten Fall also fußt Satire nicht nur<br />
auf Journalismus, sondern ist ihrerseits<br />
eine Ergänzung und eine Herausforderung<br />
für den Journalismus.<br />
Wer jedoch Satire statt Journalismus rezipiert,<br />
hat etwas nicht verstanden. Die Parodie einer<br />
Nachrichtensendung ist nicht die bessere<br />
News-Sendung. Im Idealfall ist die Satire ein<br />
mittleres Glied in einer Kette des Verstehens.<br />
Zumeist muss man schon vorab informiert sein,<br />
um richtig lachen zu können. Und meist müsste<br />
man noch mehr wissen, um nicht nur lachen zu<br />
können.<br />
Viele informieren sich allerdings nicht<br />
auf diese Art und Weise. Der Abstand zwischen<br />
Nachricht und Verstehen wächst. Viele<br />
bekommen ihre News und Schlagzeilen per<br />
Push-Meldung <strong>oder</strong> über die Timeline von<br />
Facebook aufs Handy geliefert – und belassen<br />
es dabei. Sie bekommen scheinbar das<br />
Wichtigste mit, lesen aber kaum, informieren<br />
sich nicht gründlich. Aus Kontext wird Konfetti.<br />
Auch Satire lässt sich so parzellieren. Teile<br />
der Öffentlichkeit sind vor allem auf schnelles<br />
moralisches Urteilen und individuelle Bekenntnisse<br />
aus. Das hat viel zu tun mit den<br />
neuen, viel stärker auf individuelle Vorlieben<br />
zugeschnittenen massenmedialen Möglichkeiten<br />
– unter einem großen gemeinschaftsbildenden<br />
Schirm versammeln sich nur noch<br />
zu seltenen Anlässen viele. Ob Satire den<br />
Blick schärft, hängt auch vom Blick ab. Den<br />
Unwillen mancher Menschen, sich mit etwas<br />
anderem zu beschäftigen als mit sich selbst,<br />
wird auch sie allein nicht brechen können.<br />
Aber das Potenzial dazu hat sie.<br />
„Verstehen kann glücklich machen“, bemerkt<br />
Friederike Haupt und zitiert Forschungen<br />
aus den USA, die zeigten, dass sich Zuschauer<br />
von Satire-Shows nicht allein auf diese<br />
verlassen: „Andere informieren sich über die<br />
Missstände, die ihnen in der Sendung unterhaltsam<br />
präsentiert worden waren, später<br />
ernsthaft weiter; ihr Interesse war geweckt“<br />
(Haupt 2016). „Das wäre eine tolle Nebenwirkung“,<br />
schreibt Tina Hildebrandt, als sie Oliver<br />
Welkes Hoffnung darstellt, seine Sendung könne<br />
eine „Einstiegsdroge“ für die Politik sein<br />
(Hildebrandt 2013).<br />
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