Quatsch oder Aufklärung?
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Lachen im Fernsehen<br />
1 Lachen im Fernsehen<br />
Seit einiger Zeit gibt es im Fernsehen einen<br />
Satireboom. Zentrum und Initiator dieser Entwicklung<br />
ist die vom ZDF entwickelte heute<br />
show, die 2009 erstmals ausgestrahlt wurde.<br />
Schritt für Schritt hat sie sich etabliert.<br />
Ihre Pointen werden weitererzählt, über ihren<br />
Witz wird gelacht und gestritten, ihre Machart<br />
kopiert. Die heute show wirkte stilprägend.<br />
Deswegen steht sie im Zentrum dieser Studie<br />
zu einigen Satireformaten, die einer vergleichenden<br />
Analyse unterzogen werden.<br />
Humor, Witz und Satire jedoch gehörten in<br />
unterschiedlichen Ausprägungen immer schon<br />
zur gemeinschaftsstiftenden Kraft des Massenmediums<br />
Fernsehens.<br />
Die heute show arbeitet immer wieder mit<br />
Elementen, die uns aus der Geschichte der Komik<br />
im Fernsehen bekannt sind. Ob bewusst<br />
<strong>oder</strong> unbewusst – in gewisser Hinsicht verarbeitet<br />
sie Vergangenes produktiv und synthetisiert<br />
bisherige Erfahrungen zu einem neuen Produkt.<br />
Deswegen lohnt ein kursorischer Blick in<br />
die bundesrepublikanische Geschichte des via<br />
Fernsehen vermittelten Lachens. Oft kam es<br />
ganz harmlos daher, ist aber meistens gleichwohl<br />
aussagekräftig im Hinblick auf die Zeit, in<br />
der es Anklang fand.<br />
Heinz Erhardt. Als Prototyp des Deutschen<br />
in der Zeit des Wirtschaftswunders und damit<br />
auch der Jahre, in denen sich das Fernsehen als<br />
Massenmedium etablierte, trat Heinz Erhardt 1<br />
auf. Bereits im „Sender Paul Nipkow“ hatte er<br />
am 15. November 1939 seinen ersten Fernsehauftritt.<br />
Bekannt ist er besonders wegen der<br />
vielen Filmkomödien, die seit 1957 in die Kinos<br />
kamen und heute immer noch und immer<br />
wieder im Fernsehen wiederholt werden. Heinz<br />
Erhardt stand nicht nur für den bundesrepublikanischen<br />
Neuanfang, sondern auch für<br />
Kontinuität. Sein (Rückzugs-)Ort ist darin stets<br />
die (intakte) Familie, der er als etwas schüchterner<br />
Familienvater vorsteht (siehe z. B. Video<br />
[1]). 2 Zur notwendigen Strenge sieht er sich<br />
verpflichtet, doch will sie ihm nie gelingen; er<br />
verhaspelt sich, bekommt sie nicht hin, endet<br />
in fürsorglicher Nettigkeit. Auch im Fernsehen<br />
war er seit Beginn der 1960er Jahre vielfältig<br />
präsent, vor allem als Conferencier bunter<br />
Abende, Musiksendungen und Varietés. Er sagte<br />
Gedichte auf, spielte Klavier und erzählte<br />
Witze. Seine Komik funktionierte eigentlich nur<br />
über zwei Faktoren, die er virtuos einsetzte:<br />
den Kalauer und seine Physiognomie. Wir sehen<br />
den rundlichen Patriarchen, der diese Rolle<br />
aber nie ausfüllt. Er ist ein vergeblich strenger<br />
Vater, der sich ansatzlos in ein staunendes Riesenbaby<br />
verwandelt. Der wohlsituierte Herr ist<br />
zugleich ein pummeliges Kleinkind, der „Papa<br />
vom Dienst“ hat ein Babyface. Er ist harmlos,<br />
weil er an nichts rührt. Er überspielt das Grauen,<br />
tänzelt auf einem heißen Untergrund. Jede<br />
Bestrafungsangst lacht er weg. Und doch ist<br />
1 Vgl. Stollmann (2010), S. 154 ff. Dieser Lektüre sind viele der Einsichten zu Heinz Erhardt, Loriot, Otto und<br />
Helge Schneider zu verdanken.<br />
2 Im Medienverzeichnis im Anhang dieser Studie finden sich Links zu Videosequenzen. Auf diese wird im Folgenden<br />
verwiesen mit „Video [xy]”.<br />
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