Quatsch oder Aufklärung?
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<strong>Quatsch</strong> <strong>oder</strong> <strong>Aufklärung</strong>?<br />
mit Duldung und tätiger Mithilfe des Deutschen<br />
Reiches 1915 begangene Gewalt des Osmanischen<br />
Reiches gegen die Armenier tatsächlich<br />
war: ein Völkermord.<br />
Die Deutschen sind auf diesen Beschluss<br />
einigermaßen stolz, empfinden ihn auch als<br />
mutig angesichts der störrischen türkischen<br />
Reaktionen darauf. Die heute show nun zeigt<br />
zunächst einmal Gregor Gysi, der im Bundestag<br />
schier endlos aufzählt, welche Fülle von Ländern<br />
früher gehandelt hatte als der Deutsche<br />
Bundestag. Vorgeführt wurde auch das absurde<br />
Argument eines türkischen Repräsentanten,<br />
aufgrund des internationalen Rechts könne von<br />
Völkermord erst ab 1948 gesprochen werden.<br />
Und dann muss der kleine Olli (Oliver Welke)<br />
zur „6. Stunde Geschi bei Dr. Birte Schneider“<br />
(siehe Video [10]). Wer beging den ersten Völkermord<br />
des 20. Jahrhunderts? Die Deutschen<br />
1905 an den Herero und Nama. Gibt es eine Entschuldigung,<br />
eine Erklärung des Bundestags<br />
zur historischen Schuld? „Nicht in Ordnung“<br />
gewesen sei das, hatte Bundespräsident Roman<br />
Herzog erklärt. Birte Schneider empört die<br />
Wortwahl. Als Heidemarie Wieczorek-Zeul Entwicklungshilfeministerin<br />
war, hatte sie beim<br />
Staatsbesuch in Namibia Tränen in den Augen.<br />
„Ein teurer Gefühlsausbruch“, kritisierte damals<br />
die Opposition wegen der möglichen Entschädigungsklagen.<br />
Und wie wurde darüber<br />
im Bundestag diskutiert? Wir sehen den CDU-<br />
Bundestagsabgeordneten Dr. Egon Jüttner, der<br />
erklärt, von Völkermord könne erst ab 1948<br />
geredet werden. Ach! Dasselbe Argument, das<br />
uns gerade aus türkischem Munde noch so absurd<br />
vorkam. Um den sehr didaktischen Ansatz<br />
durch Übertreibung zu karikieren, schließt der<br />
Sketch mit einem Strafarbeits-Satz aus der<br />
Schule: „Ich will nie wieder anderen erklären,<br />
wie man einen Völkermord richtig aufarbeitet,<br />
bevor ich nicht alle meine Völkermorde richtig<br />
aufgearbeitet habe“ (3.6.). Es dauert noch<br />
bis zum 12. Juni, bis das ZDF diesen Fall in der<br />
regulären politischen Berichterstattung seines<br />
„Berichts aus Berlin“ aufgreift, in dem Bundestagspräsident<br />
Norbert Lammert erklärt,<br />
er wünsche eine ähnliche Erklärung wie die<br />
Armenien-Resolution auch zum Völkermord an<br />
den Herero.<br />
Kriterium zur Beurteilung der heute show<br />
kann aber natürlich nicht in erster Linie die Frage<br />
sein, wie sehr sie in ihrer Themenwahl die<br />
Nachrichtenlage abbildet, sondern, wie sie mit<br />
diesen Themen umgeht. Wie witzig, erhellend,<br />
feinsinnig, grobschlächtig <strong>oder</strong> kalauernd<br />
werden die so überaus dominant politischen<br />
Themen aufgearbeitet, und welche Stärken und<br />
Schwächen entwickelt die heute show dabei?<br />
Die starke Präsenz von Partei- und Regierungsthemen<br />
mag auch damit zu tun haben,<br />
dass am 13. März die Landtage in Sachsen-Anhalt,<br />
Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg<br />
gewählt wurden: Einen „Super-Mega-Blockbuster-Sonntag“<br />
(11.3.) kündigte Oliver Welke<br />
da ironisch an. Mit anderen Worten: Die Sache<br />
ist nicht ganz so wichtig, wie die Akteure glauben<br />
machen wollen. Auch nach diesem Wahltag<br />
wird das Leben weitergehen. Dies zeigt schon<br />
an, wie sich die heute show die Wahlkämpfe<br />
vornimmt – mindestens ebenso sehr, wie es<br />
um die Inhalte der Wahlalternativen geht, geht<br />
es um die Inszenierung, ja Überinszenierung<br />
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