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Nationale Lösungen bei offenen Grenzen 129<br />
gedessen ist der nach Abzug der Nebenkosten und Steuern verbleibende<br />
Nettolohn in Ländern, in denen lohngebundene Sozialversicherungsbeiträge<br />
eine große Rolle spielen, niedriger als dies ansonsten der Fall wäre.<br />
All dies gilt jedoch nur im mittleren und oberen Bereich der Lohnskala,<br />
während an deren unterem Ende ganz andere Bedingungen herrschen. Hier<br />
definiert die Verfügbarkeit von Sozialleistungen eine untere Grenze, unter<br />
die der Nettolohn nicht sinken kann. So können gewisse Arten »schlechter<br />
Jobs«, die in den Vereinigten Staaten ökonomisch überlebensfähig sind, in<br />
Europa einfach nicht existieren − was selbstverständlich einen erwünschten<br />
Effekt des europäischen Sozialstaats darstellt. Was wahrscheinlich jedoch<br />
nicht beabsichtigt sein dürfte, sind die Auswirkungen des Modells lohngebundener<br />
Sozialversicherungsbeiträge auch auf Beschäftigungsmöglichkeiten,<br />
deren Vergütung deutlich über dem Existenzminimum liegt.<br />
Wenn nämlich der Nettolohn eines Arbeiters nicht unter ein garantiertes<br />
Minimum fallen kann, bedeutet das, daß alle Sozialversicherungsbeiträge<br />
und Steuern, die auf Tätigkeiten am unteren Ende der Lohnskala erhoben<br />
werden, nicht vom Arbeitnehmer getragen werden, sondern zu den Arbeitskosten<br />
des Arbeitgebers addiert werden müssen. In Deutschland dürfte das<br />
bei Löhnen in der Nähe des Sozialhilfesatzes zu einer Mehrbelastung (Sozialversicherungsbeiträge<br />
und Lohnsteuer) von mindestens 50 Prozent führen.<br />
Unterstellt man, daß die anderen Zusatzkosten sich proportional zu den<br />
Arbeitskosten verhalten, bedeutet dies, daß die Mindest-Produktivität, die<br />
ein Arbeitsplatz erreichen muß, um auf dem Markt überlebensfähig zu sein,<br />
um mehr als 50 Prozent über dem Betrag liegen muß, der dem Netto-<br />
Mindestlohn des betreffenden Arbeitnehmers entspricht. Im Ergebnis wird<br />
deshalb ein weiter Bereich von durchaus akzeptablen Arbeitsplätzen, die ohne<br />
lohngebundene Sozialversicherungsbeiträge wirtschaftlich rentabel wären,<br />
vom privaten Arbeitsmarkt der kontinentaleuropäischen Sozialstaaten<br />
eliminiert. In diesem Sinne kann man also in der Tat sagen, daß die kontinentaleuropäischen<br />
Sozialstaaten zu der hohen Langzeitarbeitslosigkeit von<br />
Arbeitnehmern mit geringer beruflicher Qualifikation beitragen. 16<br />
16 In der deutschen Diskussion spielt derzeit die Frage der Arbeitsanreize für die Empfänger<br />
von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe eine große Rolle. Daran ist richtig, daß die fast vollständige<br />
Anrechnung eigener Einkommen die Arbeitsaufnahme zu Löhnen unterhalb des<br />
Sozialhilfesatzes ökonomisch irrational erscheinen läßt. Aber solange derartige Arbeitsplätze<br />
wegen der vom Arbeitgeber zu tragenden Zusatz-Arbeitskosten gar nicht existieren,<br />
kann man die mangelnde Arbeitsmotivation der Sozialhilfeempfänger nicht als den kritischen<br />
Engpaß behandeln, der vordringlich durch eine Veränderung der Anrechnungsregeln<br />
nach dem Modell des »Kombilohns« beseitigt werden müßte.