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132 Kapitel 4<br />
daß die kontinentaleuropäischen Sozialstaaten schon bald nach dem Muster<br />
der negativen Einkommensteuer umorganisiert werden könnten. Viele dieser<br />
Schwierigkeiten ließen sich jedoch mit bescheideneren, weniger aufwendigen<br />
und einfacheren Vorschlägen überwinden, die ausschließlich auf die<br />
Schaffung von Arbeitsplätzen abzielen und nicht den Versuch einer grundlegenden<br />
Reorganisation des Sozialstaats unternehmen. Nach einem solchen<br />
Vorschlag sollten Arbeitnehmer auf Niedriglohn-Arbeitsplätzen (degressive)<br />
Beihilfen zur Aufstockung ihrer Einkommen erhalten; alle anderen Regelungen<br />
könnten dann unverändert fortbestehen (Scharpf 1993).<br />
In beiden Versionen hinge jedoch die Beschäftigungswirkung von Einkommensbeihilfen<br />
von der Kooperation der Gewerkschaften ab, die der<br />
Schaffung neuer Lohntarife unterhalb der gegenwärtigen Untergrenze der<br />
Nominallöhne zustimmen müßten. Für Gewerkschaften, die ihre Rolle in der<br />
Anhebung und nicht der Absenkung von Lohntarifen sehen, wäre dies gewiß<br />
keine attraktive Aufgabe. Darüber hinaus befürchten die Gewerkschaften,<br />
daß die Absenkung der Nominallöhne am unteren Ende zu einer generellen<br />
Erosion der gegenwärtigen Lohnstrukturen führen könnte (Hanesch 1995).<br />
Auch wenn dieser Einwand aus der Sicht der Wirtschaftstheorie nicht begründet<br />
sein mag, hat der erwartete Widerstand der Gewerkschaften bisher<br />
die politischen Parteien in Deutschland davon abgehalten, Vorschläge dieser<br />
Art auf die politische Tagesordnung zu setzen.<br />
In Anbetracht dieser Schwierigkeiten könnte eine funktional äquivalente<br />
Lösung, die nicht auf die aktive Kooperation der Gewerkschaften angewiesen<br />
wäre, aussichtsreicher sein. Ihre Chancen beruhen gerade auf jenen<br />
Merkmalen der kontinentalen Sozialstaaten, die sich so schädlich auf die Beschäftigung<br />
im Dienstleistungsbereich auswirken − nämlich ihrer Abhängigkeit<br />
von Sozialversicherungsbeiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. In<br />
Deutschland belaufen sie sich derzeit auf mehr als 42 Prozent des Nominallohns.<br />
Wenn also diese Beiträge beim gegenwärtigen Mindesteinkommen<br />
von etwa 10 DM pro Stunde und darunter (fast) vollständig erlassen würden,<br />
verringerten sich die Arbeitskosten des Arbeitgebers um 22 Prozent – und<br />
dementsprechend stiege die Rentabilität von wenig produktiven Arbeitsplätzen<br />
im Dienstleistungsbereich. 19 Gleichzeitig würde sich auch der effektive<br />
Berücksichtigung seiner Beschäftigungswirkungen) zwischen nahezu null und fast zweihundert<br />
Milliarden DM (Hüther 1990; DIW 1996; Hüther 1997).<br />
19 Ein weitergehender Vorschlag, der auf derselben Logik beruht, wurde von Jean-Paul<br />
Fitoussi (1994) zur Diskussion gestellt: Danach sollten den Arbeitgebern der auf den Min-