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Negative und positive Integration 63<br />
tikel 90 EGV war schon dreißig Jahre in Kraft, bevor Kommission und Gerichtshof<br />
sich ernsthaft mit dem Service-public-Bereich auseinanderzusetzen<br />
begannen; außerdem ist offensichtlich, daß beide sehr vorsichtig vorgehen,<br />
wenn sie auf starken politischen Widerstand treffen (S. Schmidt 1998a,<br />
1998b). 22 Trotzdem hat sich das europäische Wettbewerbsrecht zu einem<br />
mächtigen Potential entwickelt, das nationale Entscheidungen auch dann beeinflußt,<br />
wenn es zu direkten Eingriffen noch gar nicht gekommen ist – sei<br />
es durch die Antizipation solcher Interventionen, sei es durch seinen indirekten<br />
Einfluß auf das Gleichgewicht der politischen Kräfte auf nationaler<br />
Ebene.<br />
2.2.4 Die politischen Kosten der negativen Integration<br />
Der Radikalismus der Markt-Liberalisierung ignoriert jene Probleme, zu deren<br />
Lösung die Institutionen einer gemischten Wirtschaftsordnung geschaffen<br />
wurden, und die jedenfalls bis vor kurzem die Abweichungen von der<br />
reinen Marktwirtschaft rechtfertigten. In manchen Bereichen ließen sich<br />
diese Abweichungen als Korrektur spezifischer Arten von »Marktversagen«<br />
rechtfertigen – dem einzigen Argument, das in wohlfahrtsökonomischen<br />
Analysen anerkannt wird, nach deren Logik der freie Markt immer dann den<br />
Vorrang haben muß, wenn eine Marktlösung überhaupt möglich ist. In der<br />
demokratischen Praxis war politische Intervention jedoch nie auf die Korrektur<br />
von Marktversagen beschränkt, wie sie von der Wohlfahrtsökonomie oder<br />
der »konstitutionellen politischen Ökonomie« (Brennan/Buchanan 1985) definiert<br />
werden. Als politisch legitim galten beispielsweise auch Eingriffe aus<br />
militärischen oder fiskalischen Interessen oder zur Vorratssicherung im<br />
Kriegs- oder Krisenfall. Besondere Bedeutung hatten marktkorrigierende<br />
Interventionen zum Zwecke der solidarischen Umverteilung zwischen Generationen<br />
und sozialen Klassen sowie zur interregionalen Angleichung der<br />
Lebensverhältnisse im Hinblick auf grundlegende Dienstleistungen, Infrastruktur-Einrichtungen<br />
und wirtschaftliche Chancen. Wiederum andere<br />
Gründe – die Sorge um die Integrität der Massenkommunikation und ihr<br />
Schutz vor politischen und kommerziellen Manipulationen – wurden zur<br />
Rechtfertigung des öffentlich-rechtlichen Status und der Gebührenfinanzierung<br />
unabhängiger Rundfunk- und Fernsehanstalten angeführt.<br />
22 Vgl. auch unten Kapitel 5.