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Der mögliche europäische Beitrag 145<br />
weder frühere Entscheidungen pauschal widerrufen, noch klare Regeln definieren,<br />
die für eine unbekannte Vielzahl zukünftiger Fälle zwei gleichermaßen<br />
legitimen Interessen gerecht wurden – dem Interesse an der Beschränkung<br />
protektionistischer Neigungen der Mitgliedstaaten und dem Interesse,<br />
den sachlichen »Auftrag« der unterschiedlichen Service-public-Institutionen<br />
zu schützen. Da das relative Gewicht dieser potentiell gegensätzlichen Belange<br />
nur im Lichte der besonderen Umstände des Einzelfalls ermittelt werden<br />
kann, konnte der Rat der Kommission, dem Gerichtshof 1 und der juristischen<br />
Profession nur signalisieren, daß – im Lichte der »gemeinsamen<br />
Werte der Union« – dem Auftrag der Service-public-Institutionen der Mitgliedstaaten<br />
ein größeres Gewicht als bisher beigemessen werden sollte. Ob<br />
dieses Signal beachtet oder ignoriert werden wird, entzieht sich jedoch im<br />
wesentlichen der Kontrolle des Rates. 2<br />
Ein ähnliches Signal enthält das Amsterdamer Protokoll über den dem öffentlichen<br />
Interesse dienenden Rundfunk in den Mitgliedstaaten. Es verändert<br />
nicht den Vertragstext, aber es erinnert Kommission und Gerichtshof<br />
daran, daß der »Public-service«-Rundfunk in den Mitgliedstaaten in unmittelbarer<br />
Beziehung zu den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen<br />
jeder Gesellschaft stehe, und formuliert dann »Auslegungsregeln«,<br />
denen zufolge der Vertrag die öffentliche Finanzierung solcher Institutionen<br />
nicht untersage. Aber auch diese Aussage wird wieder durch den Vorbehalt<br />
relativiert, daß die öffentliche »Finanzierung die Handels- und Wettbewerbsbedingungen<br />
in der Gemeinschaft nicht in einem Ausmaß beeinträchtigen<br />
dürfe, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft …«<br />
Dasselbe trifft drittens für die von der Regierungskonferenz angenommenen<br />
Erklärungen zu, wonach die bestehenden Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft<br />
die Existenz öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute in Deutschland<br />
1 Daß diese Botschaft in der Tat an den Gerichtshof adressiert ist, wird auch durch die der<br />
Schlußakte beigefügte Erklärung Nr. 13 deutlich. Diese lautet: »Der die öffentlichen Dienste<br />
betreffende Artikel 16 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft<br />
wird unter uneingeschränkter Beachtung der Rechtsprechung des Gerichtshofs, u.a. in bezug<br />
auf die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Qualität und der Dauerhaftigkeit solcher<br />
Dienste, umgesetzt.« Diese Prinzipien hatte der Gerichtshof selbst bei Gelegenheit<br />
formuliert, um gewisse Beschränkungen der Reichweite des europäischen Wettbewerbsrechts<br />
zu rechtfertigen.<br />
2 Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, daß nationale Regierungen auf »ihre« Kommissare<br />
und Kabinettsmitglieder Druck ausüben könnten (S. Schmidt 1997). Aber diese<br />
Option wurde immer als illegitim angesehen (Ross 1995), und ihre Wirkung wird künftig<br />
auch dadurch beschränkt, daß der Präsident der Kommission der Berufung (und Wiederberufung!)<br />
der Kommissare zustimmen muß.