Festschrift "50 Jahre Bundeszahnärztekammer 1953 - 2003" - Die ...
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Grußsw<br />
ort<br />
| 28<br />
Von Rothenburg nach Berlin<br />
Zahnersatz – keine ärztliche Behandlung<br />
einer Krankheit?<br />
Für Zahnersatz blieb es jedoch dabei, dass<br />
das Fehlen von Zähnen keine Krankheit und die<br />
Tätigkeit des Zahnarztes keine ärztliche Behandlung,<br />
sondern die Vorbereitung des Mundes für<br />
die „demnächstige Lieferung“ des Werkstücks<br />
des Zahntechnikers sei. So hatte das Reichsversicherungsamt<br />
noch 1931 entschieden. <strong>Die</strong><br />
Krankenkassen brauchten Zahnersatz nicht wie<br />
sonstige Krankheitsbehandlung zu gewähren. Sie<br />
konnten vielmehr auf Basis eines Erlasses des<br />
Reichsarbeitsministers von 1943 entweder „Zuschüsse<br />
gewähren oder die gesamten Kosten<br />
übernehmen“. Obwohl Zahnersatz keine Pflichtleistung<br />
war, wurden Vergütungsverträge hierüber<br />
abgeschlossen. Gegenstand der Verträge<br />
waren schleimhautgetragene Prothesen mit gebogenen<br />
Klammern. Vergütungen wurden festgesetzt<br />
(für zahnärztliches Honorar und Technikkosten<br />
zusammen) je „Platte und Zahn“, während<br />
weitere Leistungen wie Modellguss, gegossene<br />
Klammern und festsitzender Ersatz von Bindungen<br />
durch die Krankenkassen frei blieben. Aber<br />
auch dann, wenn Modellguss mit gegossenen<br />
Klammern gewählt wurde, gab es Zuschüsse wie<br />
für Kunststoffprothesen mit gebogenen Klammern<br />
- eine Art „Grundversorgung“ mit Wahlleistungen.<br />
Später wurden auch Zuschüsse zu festsitzendem<br />
Zahnersatz gewährt, und zwar Festzuschüsse.<br />
Zunächst etwa <strong>50</strong> Mark je Krone oder<br />
Brückenglied. Vergütungsverträge hierüber lehnten<br />
die Zahnärzte ab, obwohl die Krankenkassen<br />
hierauf drängten. <strong>Die</strong> Kassen erhöhten die Zuschüsse<br />
und folgten damit der allgemeinen Tendenz,<br />
dem Versicherten möglichst alles ohne<br />
Kosten zu verschaffen. <strong>Die</strong> Krankenkassen beklagten<br />
aber, dass sie mit Erhöhungen der Zuschüsse<br />
keinen Freistellungseffekt für den Versicherten<br />
erreichten, weil im gleichen Maß wie die<br />
Zuschüsse auch die Honorare steigen würden.<br />
Vergütungsverträge wurden von den KZVen in<br />
den Ländern abgeschlossen. Zentral war im<br />
„Alsbacher Abkommen“ von 1949 vereinbart<br />
worden, dass der Krankenkasse vor der Behandlung<br />
mit Zahnersatz ein Heil- und Kostenplan<br />
vorzulegen war, dass Gutachter die Notwendigkeit<br />
der Behandlung beurteilen sollten und die<br />
Beträge, die von den Krankenkassen gemäß<br />
Erlass von 1943 übernommen wurden, an die<br />
KZVen gezahlt wurden. <strong>Die</strong>ser Zahlungsweg erleichterte<br />
den Krankenkassen die Abrechnung,<br />
den Zahnärzten stellte er sicher, dass keine<br />
Zahlungen an andere Personen als Zahnärzte<br />
und staatlich anerkannte Dentisten geleistet wurden<br />
- dies aber nur, wenn ein Vergütungsvertrag<br />
bestand. Bestand keiner, konnten auch Zahntechniker<br />
und Zahnpraktiker eingespannt werden.<br />
Das zu verhindern war den Zahnärzten der<br />
Abschluß eines Vergütungsvertrages wert. Dass<br />
die Zuschüsse von der Krankenkasse direkt an<br />
den Zahnarzt und nicht zuerst an den Versicherten<br />
flossen, betrachteten die Zahnärzte als<br />
Vorteil, weil dadurch ein sicherer Zahler anstelle<br />
des manchmal unsicheren Versicherten trat.<br />
Niemand wäre damals auf die Idee gekommen,<br />
es sei besser, wenn das Geld nicht direkt an den<br />
Zahnarzt, sondern zuerst an den Versicherten<br />
flösse. Im Vorstand des BDZ wurden sogar Stimmen<br />
laut, auch in der privaten Krankenversicherung<br />
und der Beihilfe die Zahlung direkt an den<br />
Zahnarzt und nicht an den Versicherten zu fordern.<br />
Sie verstummten nach dem Hinweis, dass<br />
die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der<br />
privaten Krankenversicherung und die Bestimmungen<br />
der Beihilfe die Abtretung des Anspruchs<br />
des Versicherten an den Zahnarzt ausschlossen.<br />
Kieferorthopädie – nicht Krankheitsbehandlung<br />
sondern Vorbeugung?<br />
Keine dem Zahnersatz vergleichbare Regelung<br />
gab es für die Kieferorthopädie. <strong>Die</strong> kieferorthopädische<br />
Behandlung wurde nicht als<br />
Krankheitsbehandlung, sondern als Verhütung<br />
einer erst nach Abschluss der Gebissentwicklung<br />
bestehenden Anomalie angesehen.<br />
Zur Krankheitsverhütung konnten die Krankenkassen<br />
Zuschüsse zu den Behandlungskosten<br />
gewähren. <strong>Die</strong>s taten vor allem die Ersatzkassen,<br />
was sie im Wettbewerb mit den RVO-Kassen<br />
besonders herausstellten. Der BDZ übernahm<br />
einen vom VDZB mit den Ersatzkassen geschlossenen<br />
Vertrag über die kieferorthopädische Behandlung,<br />
der ein Gutachterverfahren und die<br />
Zahlung von Zuschüssen vorsah, ohne Honorare<br />
festzulegen.<br />
Dass Kieferfehlbildungen keine Krankheiten<br />
sind und nicht der ärztlichen Behandlung bedürfen,<br />
ließ sich schwerlich mit dem ZHG vereinbaren.<br />
Das Bundessozialgericht hat 1972 entschieden,<br />
dass Kieferanomalien schon im Frühstadium<br />
als Krankheiten behandelt und die Kosten hierfür<br />
von den Krankenkassen getragen werden müssen<br />
(zm, 1973, S. 102).