Festschrift "50 Jahre Bundeszahnärztekammer 1953 - 2003" - Die ...
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C. Unzureichende Reformansätze<br />
Das Unbehagen an der Umverteilung im<br />
Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
wird immer stärker spürbar. Um unerwünschte<br />
Verteilungswirkungen zu vermeiden, sind in<br />
jüngster Zeit mehrere Reformvorschläge gemacht<br />
worden.<br />
1. Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze<br />
Es wird immer wieder gefordert, die Beitragsbemessungsgrenze<br />
in der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
von gegenwärtig 3.4<strong>50</strong> € monatlich<br />
auf die Beitragsbemessungsgrenze in der<br />
gesetzlichen Rentenversicherung von zur Zeit<br />
5.100 € in Westdeutschland und 4.2<strong>50</strong> € in<br />
Ostdeutschland anzuheben, um die „Besserverdienenden“<br />
stärker zur Finanzierung der Gesundheitskosten<br />
heranzuziehen. Bislang wurde<br />
der Unterschied damit gerechtfertigt, dass in der<br />
gesetzlichen Rentenversicherung im Gegensatz<br />
zur gesetzlichen Krankenversicherung mit höheren<br />
Beiträgen auch die Leistungen steigen.<br />
Mit einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze<br />
in der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
würde man sich noch weiter von dem<br />
Prinzip entfernen, eine Prämie zu verlangen, die<br />
den Versicherungsleistungen entspricht. Außerdem<br />
würden die oben genannten Verzerrungen<br />
verschärft, denn dem unzureichenden Leistungsfähigkeitsindikator<br />
Lohn wird ein noch stärkeres<br />
Gewicht für die Umverteilung gegeben. Hinzu<br />
kommt, dass sich die Frage stellen würde, ob<br />
wieder unterschiedliche Prämien in Ost- und<br />
West-Deutschland im oberen Einkommensbereich<br />
verlangt werden sollen, nachdem erst im<br />
<strong>Jahre</strong> 2001 einheitliche Prämien eingeführt<br />
wurden. Im Ergebnis bleibt es dabei, dass der<br />
Lohn kein geeigneter Indikator für die Umverteilung<br />
ist und dass es immer stärker zu willkürlichen<br />
Verteilungswirkungen kommt, weil die<br />
Leistungsfähigkeit nicht befriedigend erfasst<br />
wird. Abgesehen davon wäre genau umgekehrt<br />
anzustreben, die allgemeine Umverteilung einheitlich<br />
über das Steuer- und Transfersystem zu<br />
betreiben.<br />
2. Anhebung der Versicherungspflichtgrenze<br />
<strong>Die</strong>ser Vorschlag läuft darauf hinaus, die Versicherungspflicht<br />
auszuweiten und die sogenannte<br />
Friedensgrenze zwischen der gesetzlichen<br />
und der privaten Krankenversicherung zu<br />
Lasten der privaten Versicherung zu verschie-<br />
Wettbewerb und Umverteilung im Gesundheitswesen<br />
ben. Ein solcher Schritt wurde in diesem Jahr<br />
getan. Nachdem die Beitragsbemessungsgrenze<br />
in der gesetzlichen Rentenversicherung um<br />
13,3 % auf 5.100 € monatlich hochgesetzt<br />
wurde, erhöhte sich die Versicherungspflichtgrenze<br />
ebenfalls um 13,3 % auf 3.825 €,<br />
während die Beitragsbemessungsgrenze um<br />
2,2 % auf 3.4<strong>50</strong> € angehoben wurde. <strong>Die</strong><br />
Anhebung der Versicherungspflichtgrenze zielt<br />
darauf ab, den Kreis der Versicherten auszuweiten<br />
und insbesondere mehr Versicherte mit<br />
einem vergleichsweise hohen Einkommen in<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung zu halten.<br />
Es werden zwar einige zusätzliche Personen<br />
mit einem hohen Lohneinkommen daran gehindert,<br />
eine private Versicherung abzuschließen<br />
und sich der Umverteilungslast zu entziehen,<br />
aber die wesentlichen Mängel des Umverteilungsansatzes<br />
innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
werden nicht behoben. Hinzu<br />
kommt, dass dieser Weg nicht zu mehr, sondern<br />
zu weniger Wettbewerb führt, weil der Zugang<br />
zu den privaten Krankenkassen auf einen noch<br />
kleineren Personenkreis begrenzt wird.<br />
Noch weiter gehend ist vorgeschlagen worden,<br />
die gesetzliche Versicherungspflicht auf<br />
alle Bürger auszuweiten. Dann wäre der Kreis<br />
der Versicherten identisch mit den Steuerzahlern<br />
und Transferempfängern. Ein Ausweichen in die<br />
private Krankenversicherung wäre nicht mehr<br />
möglich. Allerdings würde es keine private<br />
(Neu-) Versicherung mehr geben, und die Probleme<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
würden auf die gesamte Gesellschaft übertragen.<br />
Verteilungspolitisch bedeutet das: Man<br />
kann zwar verhindern, dass sich ein Teil der<br />
Bürger der Belastung aufgrund der Umverteilung<br />
entzieht, aber es entstehen neue Probleme, weil<br />
nicht mehr vom Lohneinkommen ausgegangen<br />
werden kann. Dann wäre der Schritt zu einem<br />
steuerfinanzierten Gesundheitssystem nicht<br />
mehr weit. <strong>Die</strong> Verbindung zwischen Einzahlungen<br />
und Leistungen würde endgültig gelöst.<br />
<strong>Die</strong> Umverteilung zu Lasten der künftigen<br />
Generationen würde verschärft, weil die privaten<br />
Krankenversicherungen, die Altersrückstellungen<br />
bilden, verdrängt würden. Von einer<br />
Kapitaldeckung ist bei den Verfechtern einer allgemeinen<br />
Pflichtversicherung nicht die Rede.<br />
ort<br />
89 |<br />
Grußsw