Festschrift "50 Jahre Bundeszahnärztekammer 1953 - 2003" - Die ...
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lichen Erlass aufgehoben werden. <strong>Die</strong>s waren<br />
aber nur nachträgliche staatliche Reaktionsmöglichkeiten<br />
und hinderte nicht die Inkraftsetzung<br />
der berufsrechtlichen Regelungen.<br />
Zu einem anderen Ergebnis gelangt der Gerichtshof<br />
in dem Fall Arduino. Denn hier enthielt<br />
die von der Anwaltskammer beschlossene<br />
Gebührenordnung keine direkte Bindungswirkung,<br />
sondern trat erst mit der Genehmigung<br />
des Justizministers in Kraft. Dem Staat verblieb<br />
somit die geforderte Letztentscheidungsbefugnis.<br />
Erstaunlicherweise lässt der EuGH allerdings<br />
dieses Kriterium für die Qualifizierung als staatliche<br />
Maßnahme ausreichen und verlangt nicht<br />
zusätzlich – wie in der Entscheidung Wouters -,<br />
dass die Berufsangehörigen verpflichtet sein<br />
müssen, das Interesse der Allgemeinheit zu berücksichtigen.<br />
Das Erfordernis des Allgemeinwohlinteresses<br />
spielt hier auf den ersten Blick<br />
allerdings an anderer Stelle eine Rolle. Denn<br />
auch dann, wenn sich der Staat die Letztentscheidungsbefugnis<br />
vorbehält und die Regelungen<br />
somit grundsätzlich als staatliche Maßnahmen<br />
einzuordnen sind, ist nach der Rechtsprechung<br />
ausnahmsweise noch ein Verstoß<br />
gegen Art. 81 EG denkbar. Der Gerichtshof leitet<br />
aus Art. 81 EG in Verbindung mit dem Gebot<br />
der Gemeinschaftstreue aus Art. 10 Abs. 2 EG<br />
ab, dass es Mitgliedstaaten verboten ist, Maßnahmen<br />
zu treffen oder beizubehalten, die die<br />
praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen<br />
geltenden Wettbewerbsregeln aufheben könnte.<br />
Ein solcher Fall ist nach der Rechtsprechung gegeben,<br />
wenn ein Mitgliedstaat gegen Art. 81 EG<br />
verstoßende Kartellabsprachen vorschreibt oder<br />
erleichtert oder die Auswirkungen solcher Absprachen<br />
verstärkt, oder wenn er seiner eigenen<br />
Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter<br />
nimmt, dass er die Verantwortung für die in die<br />
Wirtschaft eingreifende Entscheidung privaten<br />
Wirtschaftsteilnehmern überträgt. Ein solcher<br />
Verstoß soll nun nach der Arduino-Entscheidung<br />
bei der Übertragung der Regelungsbefugnis auf<br />
Berufskammern dann nicht gegeben sein, wenn<br />
die Mitglieder des Berufsverbandes nicht nur Interessen<br />
des Sektors, den sie vertreten, sondern<br />
auch das Interesse der Allgemeinheit zu berücksichtigen<br />
haben. Völlig rätselhaft bleibt an dieser<br />
Stelle allerdings, warum der EuGH in der Entscheidung<br />
Arduino im Folgenden die italienische<br />
anwaltliche Gebührenordnung zu Recht nicht<br />
von Kriterien des Allgemeininteresses beeinflusst<br />
sieht, dann aber im Gegensatz zu den zuvor aufgestellten<br />
Grundsätzen dennoch einen Verstoß<br />
gegen Art. 81 EG i.V.m. Art. 10 Abs. 2 EG ver-<br />
<strong>Die</strong> Bedeutung der europäischen Rechtsentwicklung für die zahnärztliche Berufsausbildung<br />
neint. Es bleibt nur zu vermuten, dass bei der<br />
Gesamtbetrachtung beider Urteile die Letztentscheidungsbefugnis<br />
des Gesetzgebers das ausschlaggebende<br />
Kriterium für die Anwendbarkeit<br />
von Art. 81 EG bleiben soll. Der Berücksichtigung<br />
von Kriterien des Allgemeininteresses ist<br />
wohl lediglich eine Indizwirkung beizumessen.<br />
Führt das Vorliegen der Letztentscheidungsbefugnis<br />
zu der Qualifizierung als staatliche<br />
Maßnahme, reicht das Fehlen von Vorgaben des<br />
Allgemeininteresses in der gesetzlichen Ermächtigung<br />
zumindest allein noch nicht zu einem<br />
Verstoß von Art. 81 EG i.V.m. Art. 10 Abs. 2 EG.<br />
Gemeinwohlfunktion Freier Berufe<br />
Bevor nun Regelungen der deutschen Zahnärztekammern<br />
betrachtet werden sollen, ist noch<br />
auf eine letzte, unerwartete Wendung in der Entscheidung<br />
Wouters hinzuweisen, die letztendlich<br />
dazu führte, dass der Gerichtshof die niederländische<br />
Samenwerkingsverordening trotz fehlender<br />
Letztentscheidungsbefugnis des Gesetzgebers<br />
als zulässig ansah. Denn obwohl an sich<br />
die Voraussetzungen des Art. 81 EG erfüllt<br />
waren, erklärte der Gerichtshof die Regelung<br />
nicht nach Art. 81 Abs. 2 EG als nichtig, sondern<br />
führte eine im EG-Vertragstext nicht vorgesehene<br />
immanente Beschränkung des Tatbestandes<br />
des Art. 81 EG ein. Das Gericht führt aus,<br />
dass zu berücksichtigen sei,„dass nicht jede Vereinbarung<br />
zwischen Unternehmen oder jeder<br />
Beschluss einer Unternehmensvereinigung,<br />
durch die die Handlungsfreiheit der Parteien<br />
oder einer Partei beschränkt wird, automatisch<br />
vom Verbot des Artikels 81 Abs. 1 EG-Vertrag<br />
erfasst werden. Bei der Anwendung dieser Vorschrift<br />
im Einzelfall sind nämlich der Gesamtzusammenhang,<br />
in dem der fragliche Beschluss<br />
zustande gekommen ist oder seine Wirkungen<br />
entfaltet, und insbesondere dessen Zielsetzung<br />
zu würdigen […]“. Der EuGH setzt somit dem<br />
Verbot des wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens<br />
in einer Art „rule of reason“ eine strukturelle<br />
Grenze auf Tatbestandsebene. Er schlägt<br />
somit den Weg ein, den er im Rahmen der<br />
<strong>Die</strong>nst- und Warenverkehrsfreiheit schon seit<br />
der „Cassis de Dijon“-Entscheidung gegangen<br />
ist, und erkennt nun auch für Art. 81 EG einen<br />
nicht normierten Gemeinwohlvorbehalt an. <strong>Die</strong><br />
Vor- und Nachteile der zu prüfenden Maßnahmen<br />
werden also einander gegenübergestellt.<br />
Ergibt die Abwägung einen Vorrang von Allgemeinwohlinteressen,<br />
ist ein Verstoß trotz der<br />
wettbewerbsbeschränkenden Wirkung der Vor-<br />
ort<br />
97 |<br />
Grußsw