Festschrift "50 Jahre Bundeszahnärztekammer 1953 - 2003" - Die ...
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Grußsw<br />
ort<br />
| 58<br />
<strong>Die</strong> Freiberuflichkeit des Zahnarztes im Spannungsfeld sozialstaatlicher Bindungen<br />
betrifft als auch Funktion und Binnenstruktur der<br />
Krankenversicherungsträger und den Status des<br />
Kassenarztes. Eine verstärkte Instrumentalisierung<br />
des Kassenarztes für das System der Gesetzlichen<br />
Krankenversicherung, die Einwirkung<br />
einer makrosozialen Globalsteuerung auf das<br />
Leistungs- und Vergütungssystem sowie verstärkte<br />
öffentlich-rechtliche Bindungen der ärztlichen<br />
Berufstätigkeit sind Marksteine dieses<br />
Wandlungsprozesses. 16) <strong>Die</strong> stärkere soziale Einbindung<br />
des Kassenarztes, die Einwirkung gesamtwirtschaftlicher<br />
Prozesse auf die kassenärztliche<br />
Behandlungstätigkeit und das Arzt-<br />
Patienten-Verhältnis haben das System der<br />
kassenärztlichen Versorgung in ein spezifisches<br />
Spannungsfeld zwischen den grundrechtlich<br />
garantierten Anforderungen an die autonome,<br />
von persönlichem Vertrauen und fachlicher<br />
Kompetenz getragene Arzt-Patienten-Beziehung<br />
mit ihren vielschichtigen Implikationen (Therapiefreiheit,<br />
Wahlrecht des Patienten, Aufklärungs-<br />
und Mitwirkungspflichten, Höchstpersönlichkeit<br />
der Leistungserbringung) und den<br />
sozialstaatlichen Anforderungen gesamtgesellschaftlicher<br />
Organisationsprinzipien gestellt.<br />
<strong>Die</strong>s führt zu einer mehrdimensionalen Antinomie<br />
des Kassenarztrechts, die rechtsstaatlich einwandfrei<br />
nur aufgelöst werden kann, wenn die<br />
beteiligten Rechtsgüter und Interessen in grundrechtskonformer<br />
Weise harmonisiert werden. 17)<br />
<strong>Die</strong> erste Antinomie ist rechtskonstruktiver<br />
Art und betrifft die Trias von Sachleistung,<br />
Gesamtvertrag und Gesamtvergütung, die das<br />
System der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />
fast ausnahmslos beherrscht. <strong>Die</strong> Krankenkassen<br />
haben dem Versicherten in diesem Rahmen<br />
nicht nur das finanzielle Risiko der Krankheit<br />
abzunehmen, sondern zu gewährleisten, dass er<br />
mit ärztlicher und zahnärztlicher Behandlung<br />
sowie mit Arzneimitteln versorgt wird. <strong>Die</strong>nstund<br />
Sachleistungen sind dadurch gekennzeichnet,<br />
dass sich der Anspruch des Sozialversicherten<br />
gegen den Leistungsträger unmittelbar<br />
auf die Leistung selbst richtet. Eine finanzielle<br />
Beteiligung des Versicherten erfolgt dabei in der<br />
Regel nur über dessen Beitrag zur Sozialversicherung.<br />
Mit der Einführung des Sachleistungsprinzips<br />
bezweckte der Gesetzgeber, die ärztliche<br />
Versorgung aller Krankenkassenmitglieder<br />
sicherzustellen, wobei die Unmittelbarkeit der<br />
Bedarfsbefriedigung ohne Kostenbeteiligung des<br />
Versicherten, die das Sachleistungsprinzip kennzeichnet,<br />
in ihrer ursprünglichen Sinngebung<br />
darauf abzielte, durch Ausschluss einer Vorleistungspflicht<br />
der Versicherten die Hemmschwelle<br />
für die Inanspruchnahme versicherungsmäßiger<br />
Leistungen gerade auch für finanziell<br />
minderbemittelte Patienten herabzusetzen,<br />
damit diese nicht aus materiellen Gründen von<br />
der Inanspruchnahme notwendiger Behandlungen<br />
absehen müssten. 18) Deshalb sollte der<br />
Patient sowohl von finanzieller Vorleistung als<br />
auch von dem eigentlichen Vorgang der Leistungsbeschaffung<br />
freigestellt werden. <strong>Die</strong>se<br />
Grundsätze leiten sich ab aus der ursprünglichen<br />
Zielrichtung der Krankenversicherung<br />
unter dem Aspekt staatlich-paternalistischer<br />
Wohlfahrtspflege und arbeitsrechtlich-fürsorgerischer<br />
Existenzsicherung gegen elementare<br />
Lebensrisiken. 19)<br />
<strong>Die</strong> Abwicklung der Rechtsbeziehungen<br />
unter den Rechtssubjekten im Sachleistungssystem<br />
gestaltet sich in der Weise, dass der<br />
(Zahn-)Arzt aufgrund seiner Zulassung zur Versorgung<br />
sozialversicherter Patienten berechtigt<br />
und verpflichtet ist und gegen seine Kassen-<br />
(zahn-)ärztliche Vereinigung einen öffentlichrechtlichen<br />
Anspruch auf Vergütung seiner<br />
Leistungen hat. <strong>Die</strong> Kassenärztliche Vereinigung<br />
übernimmt die Sicherstellung der kassenärztlichen<br />
Versorgung der sozialversicherten Patienten<br />
(§ 75 Abs. 1 SGB V) und hat gegenüber<br />
den Krankenkassen aufgrund der Gesamtverträge<br />
einen Anspruch auf die Gesamtvergütung<br />
(§ 85 Abs. 1 SGB V). Der Patient hat aufgrund<br />
des Versicherungsverhältnisses mit seiner<br />
Krankenkasse und seiner Beitragszahlung in<br />
Verbindung mit den leistungsrechtlichen Bestimmungen<br />
des SGB, das den Leistungsinhalt und<br />
–umfang regelt, einen öffentlich-rechtlichen<br />
Leistungsanspruch in Gestalt eines subjektivöffentlichen<br />
und gerichtlich durchsetzbaren<br />
Rechtes gegen die Krankenkassen auf Zurverfügungstellung<br />
der vertrags(zahn-)ärztlichen<br />
Leistung in dem vom SGB vorgesehenen Umfang<br />
(§§ 15 Abs. 2, 66, 76 Abs. 2 SGB V). <strong>Die</strong><br />
Rechtsbeziehung zwischen Versichertem und<br />
Krankenkasse, das sog. Sozialrechtsverhältnis, 20)<br />
ist dabei ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis,<br />
das aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem<br />
Schuldverhältnis zum Teil als öffentlich-rechtliches<br />
Schuldverhältnis qualifiziert wird. <strong>Die</strong><br />
16) S. zu diesem Entwicklungsprozess der Strukturveränderung durch Kostendämpfungsgesetzregelung, B. Tiemann/S. Tiemann, aaO, S. 108 ff., 133 ff.<br />
17) Zur Antinomie des Kassenzahnarztrechts s. B. Tiemann, VSSR 1994, S. 412 ff.<br />
18) s. BSGE 42, 117.<br />
19) Rohwer-Kohlmann, ZSR 1980, 187; Schimmelpfeng-Schütte, SGB 1980, 380; H. Peters KrV 1981, 272<br />
20) S. dazu Krause, Das Sozialrechtsverhältnis, Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes XVIII, S. 12 ff.