Festschrift "50 Jahre Bundeszahnärztekammer 1953 - 2003" - Die ...
Festschrift "50 Jahre Bundeszahnärztekammer 1953 - 2003" - Die ...
Festschrift "50 Jahre Bundeszahnärztekammer 1953 - 2003" - Die ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Haftungs- und europarechtliche<br />
Inkompatibilitäten<br />
Sie ist darüber hinaus erforderlich, um eine<br />
Kollision (zahn-)ärztlicher Pflichten im Spannungsfeld<br />
unterschiedlicher Anforderungen aufzulösen,<br />
die einerseits das an ökonomischen<br />
Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitskriterien<br />
ausgerichtete öffentlich-rechtliche Vertragsarztrecht,<br />
andererseits das am allgemeinen wissenschaftlich-medizinischen<br />
Standard orientierte<br />
zivilrechtliche Haftungsrecht an den (Zahn-)Arzt<br />
stellen: Im Sachleistungsprinzip des SGB V darf<br />
der Vertrags(zahn-)arzt neue Untersuchungs- und<br />
Behandlungsmethoden nur anwenden, wenn<br />
der Bundesausschuss der Ärzte bzw. Zahnärzte<br />
und Krankenkassen diese Methoden anerkannt<br />
hat; gemäß zivilrechtlichem Arzthaftungsrecht<br />
hat der Vertrags(zahn-)arzt die Pflicht, seine Behandlung<br />
nach eigener Prüfung an den aktuellen<br />
medizinisch-wissenschaftlichen Standards<br />
auszurichten. Es besteht also ein ungelöstes<br />
Konfliktpotential zwischen der sozialversicherungsrechtlichen<br />
Wirtschaftlichkeitsanforderung<br />
(§ 12 Abs. 1S. 2 SGB V) und dem zivilrechtlichen<br />
Haftungsmaßstab. 30)<br />
Eine weitere Inadäquanz des Sachleistungsprinzips<br />
als leistungsrechtlicher Handlungsform<br />
betrifft die Europakompatibilität der Sachleistung.<br />
Zwar sind die gemeinschaftsrechtlichen<br />
Kompetenzen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens<br />
sehr beschränkt (Art. 3 Abs. 1p, 136, 152<br />
Abs. 5 EGV), und es besteht keine Kompetenz<br />
zur Harmonisierung der nationalen Gesundheitssysteme.<br />
Jedoch steht die ausschließliche<br />
Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Organisation<br />
der Gesundheitsversorgung ihrer Bürger<br />
in einem Spannungsverhältnis zum gemeinschaftsrechtlichen<br />
Grundprinzip des freien<br />
Binnenmarktes. <strong>Die</strong>s gilt insbesondere für die<br />
territoriale Begrenzung des Versicherungssystems<br />
wie sie § 18 SGB V bisher in Deutschland<br />
vorsieht. Demnach hat der Kassenpatient keinen<br />
Anspruch auf Kostenübernahme, wenn er – von<br />
Notfällen abgesehen – ohne vorherige Genehmigung<br />
der Kasse im Ausland ärztliche Leistungen<br />
in Anspruch nimmt.<br />
Das bedeutet, dass er – schon im Hinblick<br />
auf das Sachleistungsprinzip – veranlasst wird,<br />
ambulante und stationäre ärztliche Heilbehand-<br />
<strong>Die</strong> Freiberuflichkeit des Zahnarztes im Spannungsfeld sozialstaatlicher Bindungen<br />
lungen, ebenso wie Arznei- oder Heilmittel, in<br />
Deutschland in Anspruch zu nehmen. <strong>Die</strong>se<br />
Beschränkung kollidiert mit den Grundfreiheiten<br />
des Vertrags, der in Art. 49 den freien <strong>Die</strong>nstleistungsverkehr,<br />
in Art. 28 den freien Warenverkehr<br />
garantiert. 31)<br />
In mehreren aufsehenerregenden Entscheidungen<br />
hat der Europäische Gerichtshof festgestellt,<br />
dass nationale Genehmigungsvorbehalte<br />
der Sozialversicherungsträger für die Inanspruchnahme<br />
ambulanter und stationärer Behandlungen<br />
oder den Erwerb von Heil- und Hilfsmittel<br />
im Ausland nur unter engen Voraussetzungen<br />
zulässig sind. <strong>Die</strong>s wurde sowohl für die Kosten<br />
einer im EU-Ausland durchgeführten Zahnbehandlung<br />
(Fall Kohll, Urt. v. 28.4.1998, C 158/96)<br />
als auch für den Erwerb einer Brille (Fall Decker,<br />
Urt. v. 28.4.1998, C- 120/95) und für die Krankenhausbehandlung<br />
(Fall Geraets-Smits und Peerbooms,Urt.v.<br />
12.7.2001, C 157/99) entschieden.<br />
Der EuGH bestätigt zwar den Grundsatz, dass<br />
allein die Mitgliedstaaten zuständig sind für die<br />
Ausgestaltung ihrer sozialen Sicherungssysteme,<br />
sie müssen jedoch bei der Wahrnehmung dieser<br />
Kompetenzen das Gemeinschaftsrecht beachten.<br />
Eine Regelung wie das territorial gebundene<br />
Sachleistungsprinzip, das den Versicherten<br />
durch Genehmigungsvorbehalte faktisch daran<br />
hindert, ärztliche und zahnärztliche <strong>Die</strong>nstleistungen<br />
in einem anderen EU-Staat frei in Anspruch<br />
zu nehmen, verletzt deren Grundfreiheiten<br />
und die der Heilberufe. 32) <strong>Die</strong>sen Grundsatz,<br />
der sowohl für auf Kostenerstattungsbasis beruhende<br />
wie für sachleistungsgeprägte Gesundheitssysteme<br />
gilt, hat der EuGH in einer neueren<br />
Entscheidung vom 13.05.2003, Fall Müller Fauré/<br />
van Riet (Rs C-385/99) bestätigt, die eine Zahnarztbehandlung<br />
von Niederländern in Deutschland<br />
betrifft.<br />
Eine Ausnahme kann für den stationären<br />
Sektor nur dann gelten, wenn bei einer Öffnung<br />
des Systems eine „erhebliche Gefährdung” des<br />
nationalen Sicherungssystems der gesundheitlichen<br />
Versorgung droht. Von dieser Rechtsprechung<br />
des EuGH werden auch in Zukunft<br />
Impulse für eine auf Kostenerstattung beruhende<br />
Umgestaltung des deutschen Leistungsrechts<br />
erwartet, um der erforderlichen Mobilität und<br />
Transparenz der Leistungsnachfrage und -erbringung<br />
gerecht zu werden und das deutsche<br />
30) Vgl. hierzu Steffen, in: Festsschrift für Geiß, 2000, S. 487 ff.; Schimmelpfeng-Schütte, Medizinrecht 2002, S. 286 ff.;<br />
31) Zur sozialen Dimension des Integrationsprozesses im Hinblick auf die Entwicklung einer Europäischen Sozialunion s. B. Tiemann, in: Boskamp/Theisen, Krisen<br />
und Chancen unserer Gesellschaft, Berlin 2002, S. 133 ff.<br />
32) Zu den Konsequenzen der Rechtsprechung des EuGH für die Gesundheitsreform in Deutschland s. Heinze, Rhein.Zahnärzteblatt 2001, S. 723 ff.; Sodan, DFZ<br />
1998, 12 ff. Es bleibt abzuwarten, inwieweit der deutsche Gesetzgeber den Auflagen des EuGH durch Änderung des § 18 SGB V Rechnung trägt. S. hierzu die Entwürfe<br />
eines Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes.<br />
33) S. dazu Hänlein/Kuse, NZS 2000, 165 ff.; Bieback, NZR 2001, 561 ff. Schulz-Weidner, ZESAR 2003, 58 ff.<br />
ort<br />
61 |<br />
Grußsw