SAVOIR-VIVRE Winter-2020/21
Das virtuose Spiel der Aromen: Jörg und Nico Sackmann präsentieren ihre Kreationen Weinverkostung: Die Gewinnerweine unserer Wettbewerbe: Winzersekte, Edelsüße Weine, Orange Wine, Spätburgunder, rote Cuvées und andere rote Rebsorten Kampf dem Küchendampf: Moderne Technik und ausgefallenes Design Entdeckung des Jahres: Exzellente brasilianische Fine-Dining-Küche im Nürnberger Restaurant „1515 Rhinocervs“
Das virtuose Spiel der Aromen: Jörg und Nico Sackmann präsentieren ihre Kreationen
Weinverkostung: Die Gewinnerweine unserer Wettbewerbe: Winzersekte, Edelsüße Weine, Orange Wine, Spätburgunder, rote Cuvées und andere rote Rebsorten
Kampf dem Küchendampf: Moderne Technik und ausgefallenes Design
Entdeckung des Jahres: Exzellente brasilianische Fine-Dining-Küche im Nürnberger Restaurant „1515 Rhinocervs“
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WEIN
Orange Wine
Frei von Zwängen
und kompromisslos wild
Winzer Thorsten Sperl (Sperl Concept
Winery) vor seiner Weinbar, der
ehemaligen Brunnen-Apotheke an der
Jakobuskirche in Hambach/Pfalz.
Sein „2018er GOLD Orange Riesling“
besticht mit seiner schönen,
herben Tiefe bei nur 10,5 Prozent
Alkoholvolumen.
Einige Weine haben Namen wie aus Grimms Märchen oder der Denkstube einer Werbeagentur:
Fleur de Lotus, Cool Moon, L’Extreme, QuerKopf, Minimal, Wein der Stille,
Akméniné. So unterschiedlich wie sie heißen, so ungleich schmecken sie und werden sie
bewertet zwischen Anbetung und Verteufelung, die Orange Wines, auch Natural Wines
genannt, Vins naturels, Vini veri, Authentical Wines, Extreme Wines oder in schlichtes
Deutsch übersetzt: Naturweine.
Dieser Begriff, früher einmal den
als „naturrein“ etikettierten,
weil nicht aufgezuckerten Cabinet-Kreszenzen
vorbehalten, ist zwar
seit 1971 per Gesetz verboten, aber er
bezeichnet inhaltlich, den Anspruch der
Hersteller an die Produktion, bei dem
der Mensch nicht oder nur minimal in
die Weinwerdung eingreift nach dem
Leitmotiv, dass dem Wein nichts zugesetzt,
aber möglichst auch nichts genommen
werden soll.
Orange Wines ist im Grunde ein
Hilfsbild. Der Titel bezieht sich vordergründig
wohl auf die in der Regel
dunklere Farbe – changierend zwischen
Goldgelb, Orange und Bernstein, oft
leicht rötlich angetönt – der zumeist
aus weißen, seltener aus roten Trauben
gekelterten Weine. Allerdings ist die
Vorgangsweise keineswegs einheitlich
und schon gar nicht genormt. Es gibt
keine verbindliche Richtlinie, keinen
allgemeingültigen Komment, nach dem
gearbeitet werden soll und muss – und
auch keine Kontrollinstanz. Jeder Winzer
hat sein Rezept und nutzt diese Freiheit
aus, oft nach dem Motto: orange ist,
was mir gefällt! Das gebiert Weine zwischen
gut und schlecht. Die einen begeistern
durch herrische und ungezähmte
Frucht, andere stinken, gnädig gesagt,
sind hoffnungslos oxidiert und instabil,
gleichen bestenfalls altem Sherry.
Ein konventionell geschulter Gaumen
wird sowieso zuerst erschrocken zusammen
zucken, wenn ihn erstmals ein
typischer Orange Wein mit seiner ungestümen
bis brachialen und vor allem
ungewohnten Wildheit trifft. Viele Vins
naturels werden ja anders vinifiziert als
die herkömmlichen 99,9 Prozent aller
Weltweine. Zu den Kategorien, die mehr
oder weniger bei den Orange Wines eine
Rolle spielen, gehören beispielsweise:
• die Spontangärung, also der Verzicht
auf Reinzuchthefen zugunsten der
traubeneigenen „wilden“
Weinberghefen.
• eine lange Maischephase, ähnlich wie
bei Rotweinen.
• die malolaktische Gärung, auch
biologischer Säureabbau genannt.
• die weitgehende oder gänzliche
Vermeidung von Säurekorrektur,
Schönung, Filtration sowie,
besonders heikel und umstritten,
der Schwefelung.
Stahl, Holz, Amphoren
oder Beton
Der eine Winzer baut den Wein im
Stahltank aus, der andere in Fässern aus
Mondholz, das bei spezieller Gestirnkonstellation
geschlagen worden ist.
Beliebt ist der Ausbau in Amphoren,
auch Betontanks in Eiform kommen
zum Einsatz. Verpönt sind Kunstdünger,
chemische Spritzmittel, ein allzu
betonter Einsatz technischer Hilfsmittel
im Keller. Ein typischer Orange-Winzer
wird auch eine maschinelle Ernte
verschmähen, die Trauben mithin per
Hand lesen und, bündig formuliert,
alles vermeiden, was den Wein manipuliert.
Er überlässt die Verwandlung des
Traubensaftes zum Wein weitgehend bis
komplett – je nach seiner Philosophie –
der Natur. Man kann auch sagen: dem
lieben Gott.
Charakter und Tiefgang
Entsprechend different fallen die Weine
aus. Sie muten archaisch an und sind
auf eigenwillige Art anders. Das Duftund
Geschmacksspektrum reicht von
erbärmlich und ungenießbar über alle
nur denkbaren Schattierungen bis hin zu
Gewächsen von grandioser Tiefe, stringenter
Kraft und veritabler Terroir-Mitgift.
Manche Weine sind einfach genial,
zeichnen sich durch enormen Tiefgang
aus, sind in sich ruhend und doch mit
einer animierenden Mineralität und
Lebendigkeit ausgestattet.
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