FEST Jahresbericht 2020
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schen in seiner leiblich-seelischen Bedürftigkeit besonders charakterisieren
und in existentiellen Grenzsituationen (Karl Jaspers) seinen
Bezug zur Transzendenz besonders sichtbar werden lassen. In der
anschließenden Diskussion wurde herausgestellt, dass dies nicht
bedeutet, dass der Autonomiebegriff für die anthropologische
Bestimmung des Personenseins zu vernachlässigen wäre, sondern
dass er vermutlich gegenwärtig zu einseitig für die Bestimmung von
Personalität herangezogen wird. So wäre dann weitergehend zu
erforschen, wie das Verhältnis von Autonomie, Selbstbestimmung
und Vulnerabilität gerade auch in den verschiedenen Stadien der
Demenzerkrankung genau auszutarieren ist.
(2) Ein zweiter immer wieder behandelter Gesichtspunkt auf der
Tagung bezog sich auf die qualitative Dimension personaler Existenz
bei dementiellen Erkrankungen. Das schmerzhafte und einschneidende
Erleben der eigenen Demenzerkrankung, die mit dem Verlust
ganz unterschiedlicher Fähigkeiten einhergeht, wird aus kognitivistischer
Perspektive häufig als vollständiger Bruch mit der personalen
Existenz angesehen. Alternativ sind verkörperungstheoretische und
leibphänomenologische Ansätze darum bemüht, die Veränderungen,
aber eben auch die Kontinuität des personalen Selbst bis in die späten
Stadien der Alzheimer-Demenz begrifflich und empirisch nachzuweisen.
Prof. Thomas Fuchs stellte z.B. heraus, welche Bedeutung
das sogenannte „Leibgedächtnis“ für das theoretische Verständnis,
aber auch den sozialen Umgang mit Alzheimer-Patient*innen hat.
Damit ist ein prozedurales, vielfach fähigkeitsbasiertes Gedächtnis
gemeint. So ist es Demenzerkrankten häufig auch noch in späten Stadien
der Erkrankung möglich, Musik zu spielen, zu malen oder auch
ehemals erlernte Bewegungsmuster zu reproduzieren. Dr. Marion
Bär machte in ihrem Beitrag „Sinn und Sinnerfahrung unter den
Bedingungen demenzieller Erkrankung“ darüber hinaus deutlich,
dass die Förderung und Realisierung solcher Sinnerfahrungen für
Demenzerkrankte bis in späte Stadien der Erkrankung möglich sind.
Auch zeigte sie auf, dass die gesteigerte Vulnerabilität in der Demenzerkrankung
durchaus verträglich ist mit immer wieder neu zu realisierenden
Sinngestalten, die aber den Bruch, den z.B. die Alzheimer-
Demenz mit dem vorhergehenden Leben der Patient*innen bedeutet,
natürlich nicht einfach aufheben können. Ein Forschungsantrag wie
auch eine Publikation zum Thema wird zurzeit an der FEST vorbereitet.
Tagung
Titel:
Leiblichkeit, personale Identität und
Demenz
Laufzeit:
27./28.02.2020
Bearbeitet von:
Christian Tewes
Theologie und Naturwissenschaft
Arbeitsbereich „Theologie und Naturwissenschaft“
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