27.12.2012 Aufrufe

Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Das ominöse Thema, das der Improvisation zugrunde liegt, muss in der Logik des Kulturspiels als<br />

virtuell verstanden werden. Es entspricht keinem reifizierten Katalog an Werten oder Verhal-<br />

tensmustern, sondern vielmehr einer Momentaufnahme der Spielenden. Da<strong>bei</strong> ist zu beachten,<br />

was schon Wittgenstein für das Sprachspiel herausstrich: der Unterschied von Beschreibung und<br />

Erklärung. Die Grammatik einer Sprache beschreibt diese, erklärt sie aber nicht 153 . Man muss das<br />

Spiel spielen, um es gänzlich zu erfassen, steigt man aus, verflüchtigen sich auch die Regeln. Dies<br />

ist es, was der Linguist Foley mit den cultural embodied practices, was Bourdieu mit dem Habituskon-<br />

zept bezeichnet; dies ist es, worauf ich hinweisen wollte, als ich von einem radikalen Gegen-<br />

wartsbezug der Kultur sprach.<br />

So lässt sich Kultur als ein „Netzwerk von Verhandlungen [negotiations] über den Austausch von<br />

materiellen Gütern, Vorstellungen und – durch Institutionen wie Sklaverei, Adoption oder Heirat<br />

– Menschen“ begreifen (55). „Große Autoren“ improvisieren virtuos mit den gerade herrschen-<br />

den Codes im Kulturspiel. „Die von ihnen geschaffenen Werke sind Strukturen zur Akkumulati-<br />

on, Transformation, Repräsentation und Kommunikation gesellschaftlicher Energien und Prakti-<br />

ken.“ (55) Da<strong>bei</strong> bestimmt ein Code nicht den Verlauf eines Diskurses, er strukturiert ihn nur<br />

nachträglich und fördert das Verständnis einer gewissen Vorgehensweise. Er kann nicht als pro-<br />

spektives Instrument genutzt werden, verrät nichts über Kausalzusammenhänge, die reprodu-<br />

zierbar wären 154 . Ein Code beschreibt nur, er erklärt nicht.<br />

Freilich enthält auch die Definition Greenblatts einen Haken: sie spricht von großen Autoren, die<br />

Meister der kulturellen Codes seien, doch sie sagt nicht, wie ein Autor zu einem großen Autor<br />

wird. Vielleicht strebt sogar jeder große Autor danach, im Sinne dessen, was wir von Deleuze und<br />

Guattari gelernt haben, zu einem kleineren Autor zu werden und dadurch die Codes eher in Fra-<br />

ge zu stellen als sich ihrer zu bedienen. Welche Kulturstrategie der einzelne auch immer verfolgen<br />

mag, es scheint mir grundsätzlich nicht sinnvoll, eine Einteilung nach kulturellen Hintergründen<br />

vorzunehmen, die auf der Plattform der Literatur aufeinander träfen. Emine Özdamar, Driss<br />

Chraïbi oder Assia Djebar improvisieren über die nämlichen Kulturthemen wie andere zeitgenös-<br />

sische Autoren, der modernen komplexen Gesellschaft sei Dank. Ich möchte in den folgenden Ab-<br />

schnitten zeigen, wie die Texte dieser Autorinnen an theoretische Diskurse der internationalen<br />

Wissenschaft andocken und über sie im Sinne Greenblatts improvisieren; ich möchte zeigen, wie<br />

gewisse Motive, die einen vermeintlich eindeutigen kulturellen Stellenwert besitzen – wie etwa<br />

Bezugnahmen auf den Koran, auf das Wunderbare oder auf die Rolle der Frau in patriarchalen<br />

gesellschaftlichen Strukturen – ihre klare Zuordnung verlieren und somit zu genuin kulturellen<br />

Themen werden, die dadurch allerdings nicht kontextunabhängig typologisiert werden können,<br />

153 Vgl. WITTGENSTEIN 1945, Zif.496.<br />

154 Vgl. dazu GEERTZ 1973, 27.<br />

99

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!