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Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

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werden, d.h. einerseits an dem selbstverständlichen Wunsch nach breiter Rezeption festgehalten,<br />

andererseits aber der Wunsch nach dem Schutz des eigenen Gedankenguts formuliert werden?<br />

Martin Ehlers schlägt einen (gedachten) Vertrag zwischen Leser und Autor vor, in dem sich jener<br />

verpflichtet, den „Absichten oder Intentionen des Redners getreu nachzukommen“ (BOSSE 1981,<br />

55). <strong>Was</strong> hier eingeführt wird, ist nicht weniger als eine Asymmetrie zwischen Leser und Autor.<br />

Der Autor diktiert gleichsam mit seinem Text ein Vertragspalimpsest, mit dem sich der Leser<br />

entweder qua Rezeption einverstanden erklärt oder aber „das Eigenthumsrecht desjenigen<br />

[kränkt], von dem er die Gedanken bekommen hat“ 187 . Dieser Vertrag sichert dem Autor die<br />

Herrschaft über die dem Text entnommenen Gedanken zu.<br />

Die Problematik dieser Konstruktion ist nicht schwer zu erkennen, denn wo, fragt man sich so-<br />

fort, endet das, was der Text selbst ausdrückt und also der Wille des Autors, und wo beginnt die<br />

eigene gedankliche Ar<strong>bei</strong>t, zu der der Text anregt, ja, ausdrücklich anregen soll? Wie verhindere<br />

ich, dass der Text theoretisch das tut, was er praktisch offenkundig nicht tut, nämlich sich<br />

schließt? Die von Ehlers und anderen verfochtene Position, dass die Gedanken eines Textes Ei-<br />

gentum des Autors bleiben und das nicht Veräußerbare im Sinne Feders darstellen, nähert sich<br />

gefährlich einem Modell, das den Text zu einem kommunikationstheoretischen Container macht,<br />

zu einem Ding also, in dem ein bestimmter Sinn – die Gedanken des Autors nämlich – auf ewig<br />

eingeschlossen bleibt. Eine Weiterentwicklung der Gedanken wird zu einer Missachtung des Au-<br />

torwillens und seiner Eigentumsrechte.<br />

Einen Ausweg aus diesem Dilemma sucht Fichte in seinem Aufsatz Beweis der Unrechtmässigkeit des<br />

Büchernachdrucks. Er nimmt hier eine abermalige Trennung innerhalb des geschriebenen Textes<br />

vor. Der Unterscheidung von Körperlichkeit (des gedruckten Textes) und Geistigem (der darin<br />

enthaltenen Gedanken) wird eine zweite hinzugefügt, die das Geistige selbst noch einmal in eine<br />

materielle und eine formale Seite spaltet: „Dieses Geistige ist nehmlich wieder einzutheilen: in das<br />

MATERIELLE, den Inhalt des Buchs, die Gedanken, die es vorträgt; und in die FORM dieser Ge-<br />

danken, die Art wie, die Verbindung in welcher, die Wendungen und die Worte, mit denen es sie<br />

vorträgt.“ (FICHTE 1791, 411)<br />

Den ersten Term dieser Unterscheidung kann man sich nun prinzipiell aneignen, man muss nur<br />

ein entsprechendes Quantum Ar<strong>bei</strong>t in die Lektüre des Textes stecken, um Inhalt und Gedanken<br />

in Besitz zu nehmen.<br />

„<strong>Was</strong> aber schlechterdings nie Jemand sich zueignen kann, weil dies physisch unmöglich<br />

bleibt, ist die FORM dieser Gedanken, die Ideenverbindung in der, und die Zeichen, mit<br />

denen sie vorgetragen werden. [...] denn Niemand kann seine Gedanken sich zueignen,<br />

ohne dadurch dass er ihre Form verändere. Die letztere also bleibt auf immer sein<br />

AUSSCHLIESSENDES EIGENTHUM.“ (412)<br />

187 EHLERS 1784, 28, zit. nach BOSSE 1981, 55.<br />

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