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Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

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herausnimmt? Denn sie war es, die noch im Kindbett das traditionelle Recht der Großmutter<br />

ausübte, über den Namen der Neugeborenen zu entscheiden. Doch damit setzt sie sich gerade<br />

nicht an die Stelle ihres Mannes, an dessen winterlichen Tod der Name Theljas sogar erinnern<br />

soll, sondern an die seiner Mutter. Die offensichtlichere Parallele besteht vielmehr in der Gering-<br />

schätzung des Weiblichen, die in <strong>bei</strong>den Geschichten zum Ausdruck kommt. Denn Antigone<br />

wird durch ihre Entschlusskraft nicht etwa zur starken Frau, sondern zum Mann, dem in der ge-<br />

sellschaftlichen Ordnung als einzigem politische Entscheidungsgewalt zugestanden wird. Und<br />

politische Entscheidungsgewalt übt Antigone aus, indem sie einen vom Souverän verfügten Be-<br />

fehl missachtet. Antigones Handeln hat ganz klare politische Implikationen und repräsentiert<br />

nicht, darin ist Judith Butler zuzustimmen, „Verwandtschaft als diejenige Sphäre [...], die über die Mög-<br />

lichkeitsbedingung von Politik bestimmt, ohne je selber Politik zu werden.“ (BUTLER 2001, 14)<br />

Die Episode Theljas ist da<strong>bei</strong> noch eine Nuance komplexer, denn in ihr gibt es ja mehrere han-<br />

delnde Frauen. Zunächst die Mutter, die zwar einerseits das Gesetz übertritt, damit aber vor al-<br />

lem ihrer Schwiegermutter ein Recht vorenthält 325 . Der Name, den sie auswählt, steht da<strong>bei</strong> wie<br />

gesagt in direktem Zusammenhang mit ihrem getöteten Mann; er ist eine Erinnerung an den<br />

schmerzvollen Abschied von ihm, an den Abstieg aus dem winterlichen Gebirge, wo er sich mit<br />

den übrigen Widerstandskämpfern verschanzt hatte, als Theljas Mutter ihn zum letzten Mal le-<br />

bend sah (175f). Auch die Worte der Großmutter sind vollständig auf den Toten ausgerichtet, sie<br />

bringen die Erleichterung zum Ausdruck, dass er in dem Glauben sterben konnte, einen männli-<br />

chen Nachkommen zu haben. Die Usurpation der Mutter findet also ganz klar nicht nur wie die<br />

Antigones im männlichen gesellschaftlichen System statt, nein, sie überschreitet es nur, um damit<br />

der Liebe zu ihrem Gatten ein Fanal zu setzen. Und genau deshalb verzichtet auch die Großmut-<br />

ter auf das ihr zustehende Recht: Derjenige, für den die Beugung geschieht, ist eben der tote<br />

Sohn. All diesen Herabsetzungen ausgeliefert – und eine Herabsetzung ist der Ausspruch der<br />

Großmutter für das kleine Mädchen – ist einmal mehr das schweigende Kind, das hier, wie in der<br />

überwiegenden Mehrzahl der anderen Fälle in Les nuits de Strasbourg, weiblich ist.<br />

Bei der Generalprobe zur Aufführung der Antigone beschreibt Jacqueline schließlich, worin ihrer<br />

Meinung nach die Spezifizität Antigones besteht. „Antigone abandonnée des dieux et des hom-<br />

mes devient figure par excellence du sacrifice“ 326 (211). Diese Konzeption des Opfers ist da<strong>bei</strong><br />

offenbar keine eines Opfers für, denn sie steht in keiner Verbindung, weder zu Göttern noch zu<br />

325 Damit wird ein Motiv aufgerufen, das Elaine Showalter in der Literatur von Frauen vor den 70er Jahren häufig<br />

identifiziert: Matrophobie (matrophobia), der Hass auf die eigene Mutter und die Angst, selbst Mutter zu werden<br />

(SHOWALTER 1985, 135). Das Motiv ist <strong>bei</strong> Djebar in <strong>bei</strong>den Komponenten vorhanden, allerdings auch in <strong>bei</strong>den<br />

leicht verschoben. Denn der Hass auf die Mutter wird <strong>bei</strong> ihr eher zu einer Konkurrenz mit der Schwiegermutter.<br />

Die Angst, Mutter zu werden ist zugleich (Ali betreffend) Angst vor der Vaterschaft bzw. Skepsis gegenüber der<br />

Familie insgesamt.<br />

326 „Antigone, von Göttern und Menschen verlassen, wird zum Inbegriff des Opfers“.<br />

195

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