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Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

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terdrückungssituation einer ganzen Gruppe 37 . Diese Gruppe ist im Falle von Südwind gastar<strong>bei</strong>ter-<br />

deutsch, deren Gründungsmanifest der Text Biondis und Schamis darstellt, ausdrücklich internati-<br />

onal angelegt, eine Tatsache, die sie von der bisherigen Tradition der exilliterarischen Gruppen-<br />

bildung abhebt, „der Tradition nämlich, dass höchstens nationale Zusammenschlüsse von Litera-<br />

ten entstanden, die in eigener Sprache für ihre Landsleute schrieben.“ (BIONDI/SCHAMI 1981,<br />

129) Die Aufgabe einer Gastar<strong>bei</strong>terliteratur, der Südwind gastar<strong>bei</strong>terdeutsch eine Plattform bieten<br />

soll, besteht nun gerade darin, „kontinuierlich, das Wort der Gastar<strong>bei</strong>ter in die Öffentlichkeit zu<br />

bringen“ (130) und also – in Abwandlung der berühmten Frage Gayatri Spivaks: Can the subaltern<br />

speak? – den Subalternen zu einer Stimme zu verhelfen.<br />

Formal ist die Gastar<strong>bei</strong>terliteratur laut Biondi und Schami ein Experimentierfeld. Die Mehrheit<br />

der Autoren sind keine „eingeweihten Literaten“ (130). Vielfach suchten diese darum Vorbilder<br />

in der volkstümlichen Erzählkultur ihrer Herkunftsländer. Die ästhetische Dimension trete <strong>bei</strong><br />

der Gastar<strong>bei</strong>terliteratur hinter die politische zurück. Diese Literatur könne zwar „keine Rezepte<br />

liefern, aber sie kann die Verhältnisse bloßlegen, unter denen die Gastar<strong>bei</strong>ter leben und ‚unter<br />

denen ein Mensch zum Gastar<strong>bei</strong>ter gemacht wird, damit sie aufgehoben werden können.’“ (133)<br />

Mit einem seltsam unscharfen Kulturbegriff beschreiben sie die Kultur der Gastar<strong>bei</strong>ter als den<br />

einzigen Ort, in dem diese noch Halt finden können, um ihre Eigenständigkeit und ihre Identität<br />

zu sichern.<br />

Biondis und Schamis Programm gibt so ein Muster vor, an dem sich in der Folge die meisten<br />

Interpretationen abgear<strong>bei</strong>tet haben. Da<strong>bei</strong> sind vor allem zwei Punkte hervorzuheben: Zum<br />

einen wird interkulturelle Literatur meist – was ihre implizte Ästhetik betrifft – auf populäre Tra-<br />

ditionen rückbezogen. Dieser Zusammenhang leite sich, so wird argumentiert, aus der Bildungs-<br />

ferne der Autoren her. Diese kann aber , wie ich angemerkt habe, nicht so ohne weiteres als ge-<br />

geben angenommen werden. Doch für Biondis und Schamis Argument ist diese geringe In-<br />

struiertheit entscheidend. Sie behaupten da<strong>bei</strong> allerdings keine wirkliche Traditionalität der Texte,<br />

sondern sehen in ihnen nur Einflüsse aus vorwiegend volkstümlichen Quellen.<br />

Zum anderen wird ständig eine Verbindung von Kunst und Leben postuliert, die in der Betrach-<br />

tung „herkömmlicher“ Nationalliteraturen längst keine so prominente Rolle mehr spielt. Die Fra-<br />

gen nach Verwurzelung, (nationaler) Identität oder Idealisierung des Heimatlandes werden wie<br />

selbstverständlich als zentral für jeden Text der interkulturellen Literatur angenommen. Aller-<br />

dings fordern Biondi und Schami in klassisch marxistischer Tradition eine Internationalisierung<br />

der Literatur und damit gerade keine ethnische Partikularisierung. Sie legen den Akzent auf die<br />

nationenübergreifende Problematik von ökonomischer Ausbeutung und politischer Marginalisie-<br />

37 An dieser Stelle wird schon die Weiche zum Konzept der littérature mineure sichtbar, die eifrig genutzt worden ist.<br />

Vgl. dazu unten, Kap. I.2 dieser Ar<strong>bei</strong>t.<br />

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