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Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

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tagswirklichkeit so fern liege (!, 109f). Die fremde Sprache erlaube aber andererseits die kritische<br />

Distanz und die personalisierte Ich-Instanz, die der islamischen Welt bisher so sehr abgegangen<br />

sei (111). Wenn er am Ende schreibt, dass „d’authentiques créateurs ont fait à cette ‘superbe ma-<br />

îtresse’ (...) de très beaux enfants aux couleurs de la Méditerrannée et du Maghreb“ (112), kann er<br />

vor dem Hintergrund des Gesagten eigentlich nur die Schönheit des europäischen Teils dieser<br />

amourösen Liaison meinen. Der paternalistische Gestus und die krude Sexualmetaphorik gemah-<br />

nen überdies an längst überwunden geglaubte Bilder vom Afrikaner als der sexuellen Bedrohung<br />

der europäischen Frauen, der zudem zu Gewalttätigkeit und unkontrollierbaren Gefühlsausbrü-<br />

chen neigt, weil seine kollektivierende Religion ihm nicht erlaubt, sein wahres Selbst zu finden.<br />

Diese Darstellung, so erschütternd sie ist, führt eigentlich nur extrem konsequent fort, was im<br />

Diskurs über die interkulturelle Literatur in französischer oder deutscher Sprache allgegenwärtig<br />

ist: die Vorstellung von kulturellen Einheiten, die zwar miteinander in Kontakt treten und kom-<br />

munizieren können, da<strong>bei</strong> aber nicht ihren identifizierenden Kern preisgeben, der sie dauerhaft<br />

voneinander unterscheidet. Die Paarungsmetaphorik schließt überdies an den Hybriditätsbegriff<br />

an, der lange eine unreine sexuelle Denotation hatte 66 . Man kann an Entwürfen wie dem Déjeux’<br />

nachvollziehen, wie notwendig es wäre, die ständig oberflächlich affirmierte innere Heterogenität<br />

von Kulturen für die Analyse fruchtbar zu machen – und das würde zunächst einmal bedeuten,<br />

sich von den aufgeführten Stereotypen zu lösen und die Texte der interkulturellen Literatur, wel-<br />

cher Sprache auch immer, nicht stets nur auf die vermeintlich so unhintergehbare Kategorie der<br />

kulturellen Identität hin zu untersuchen.<br />

Wie steht es nun um die theoretische Beschäftigung mit der littérature beur, mit einer Literatur, die<br />

nicht selten als Inbegriff einer littérature de témoignage gesehen wird? Wie von Bonn wird sie häufig<br />

als nicht wesentlich unterschieden von der LMEF konzeptualisiert, wenn sie auch als eine beson-<br />

dere Phase der literarischen Produktion von Migranten wahrgenommen wird. Die entscheiden-<br />

den Merkmale, um als Beur zu gelten, sind die Abstammung und der Grad an formaler Bildung 67 .<br />

Auch die weiteren Bestimmungen, die Alec Hargreaves zusammenfasst, sind eher literatursozio-<br />

logischer Natur: Die Autoren sind jung, oft männlich, sie schreiben meist autobiographische Tex-<br />

te. Da<strong>bei</strong> sind sie als Schriftsteller nicht repräsentativ für ihre Generation, da sie aus dem franzö-<br />

sischen Schulsystem erfolgreich hervorgegangen sind. Ihre Sprache ist häufig sehr informell, an<br />

gesprochener Sprache und am Jugendslang orientiert. Viele der Texte bedienen sich außerdem<br />

66 Vgl. dazu die Studie von Robert J.C. YOUNG 1995, 6-19 für einen Überblick zum Gebrauch des Hybriditätsbegriffs<br />

seit seiner Einführung in die Wissenschaften vom Menschen. Vgl. für eine ausführlichere Besprechung dieses<br />

Komplexes außerdem Kap. I.3 dieser Ar<strong>bei</strong>t.<br />

67 „Le critère essentiel est le fait d’avoir des parents musulmans d’origine maghrébine ayant émigré en France;<br />

l’intéressé est né dans ce pays ou y vit depuis son enfance. (…) En français courant, qui dit ‘immigré’ dit ‘travailleur<br />

immigré’. Les professionnels qui émigrent en France sont désignés par l’homme de la rue comme des étrangers, et<br />

non pas comme des immigrés, dénomination réservée aux seuls ouvriers qui, dans le cas des Maghrébins, sont généralement<br />

peu instruits.“ (HARGREAVES 1992, 7)<br />

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