Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...
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einer humorvollen Schreibweise 68 . Bis auf die ethnischen Zuschreibungen, das kann an dieser<br />
Stelle nur wiederholt werden, erlauben diese Merkmale keine klare Eingrenzung der Gruppe.<br />
Denn da sich auch viele Emigrantenkinder gegen die Charakterisierung wenden und gebildete<br />
Emigranten, wie <strong>bei</strong>spielsweise Tahar Ben Jelloun, sich weigern für ihre Kinder den einen eher<br />
niedrigen Bildungsstand suggerierenden Terminus Beur zu akzeptieren 69 , wird die Klassifizierung<br />
tendenziell nichtssagend.<br />
Auch Michel Laronde richtet seine Monographie zur littérature beur ganz darauf aus, die Suche der<br />
Gruppe der Beurs nach einer eigenen Identität zu analysieren. Die Texte werden hier in erster<br />
Linie zu einem Ort, an dem die kollektive Identität einer Minderheit geformt wird. Da<strong>bei</strong> wird für<br />
ihn jede individuelle Identität – und zwar <strong>bei</strong> jeder Selbstzuschreibung – in Bezug auf gewisse<br />
kollektive Identitäten hin entworfen, sowohl auf solche, von denen man sich abgrenzt, als auch<br />
auf solche, denen man sich anschließt 70 . Im Gegensatz zu Chiellino nimmt er eine grundsätzliche<br />
Schwierigkeit der Identitätsbildung <strong>bei</strong> Individuen an, die direkt oder indirekt – in der zweiten<br />
Generation – mit Migration konfrontiert sind, da die <strong>bei</strong>den kollektiven Identitäten, denen ge-<br />
genüber sich das Individuum positionieren muss, für Laronde nur fragmentarisch vorhanden<br />
sind 71 . Wie Identität genau konzipiert wird, ist für die hier geübte Kritik am Diskurs allerdings<br />
zweitrangig, denn mir geht es ja darum, dass sie überhaupt in so ausschließlicher Weise in den<br />
Blick gerät. Im Ergebnis strebt Laronde an „de dégager le sens de l’identité beure“ (LARONDE<br />
1993, 41) und zwar durch eine Analyse der literarischen Produktion der als Beurs eingestuften<br />
Individuen. Auch Laronde betrachtet kollektive Identitäten als gleichermaßen virtuell und verän-<br />
derlich; dennoch betont er deren Notwendigkeit als Muster, mit dessen Hilfe sich eine individuel-<br />
le Identität erst herstellen lasse. Diese problematisiert er wiederum <strong>bei</strong> aller Virtualität von An-<br />
fang an nicht konsequent genug, wenn er den Prozess der Gruppenbildung (collusion) als die<br />
Grundfigur der Identitätsbildung begreift: „Mais dans la littérature comme dans la vie, si la collu-<br />
sion est apprentissage de ma capacité à me mettre à la place de l’Autre (à jouer un rôle), elle est<br />
aussi apprentissage de ma propre différence lorsque je reste le même à travers tous ces rôles.“<br />
(16) Die Vorstellung, man bleibe in allen Rollen doch irgendwie derselbe, scheint für Laronde<br />
nicht kritikwürdig zu sein. Vielleicht ist aber nicht nur kollektive, sondern auch individuelle Iden-<br />
tität virtuell und heterogen. In diesem Fall wäre dieses rester le même allerdings höchst erklärungs-<br />
bedürftig.<br />
68 Vgl. HARGREAVES 1989, 661-663.<br />
69 Vgl. HARGREAVES 1992, 7. Außerdem offenbart sich hier der logische Bruch, dass die Beur-Literaten zwar das<br />
französische Schulsystem erfolgreich durchlaufen haben, aber dennoch einen niedrigen Bildungsstand haben sollen.<br />
70 Vgl. LARONDE 1993, 17.<br />
71 Vgl. LARONDE 1993, 20. Die Gegenposition findet sich z.B. <strong>bei</strong> CHIELLINO 2000, 61.<br />
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