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Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

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als unabhängiges kommunikatives Ereignis in die literarische oder die revolutionäre Maschine ein,<br />

bliebe aber selbst von deren Funktionieren unberührt. Das Konzept Foucaults bildet dazu mei-<br />

nes Erachtens eine sinnvolle Ergänzung.<br />

Das Deleuze/Guattarische Vorhaben stellt sich nach diesen Betrachtungen ein wenig seltsam dar:<br />

es werden drei Kriterien einer littérature mineure angegeben, die aber <strong>bei</strong> ihrer näheren Betrachtung<br />

eher zu allgemeinen Potentialen von Literatur überhaupt mutieren 91 . Die Seltsamkeit verflüchtigt<br />

sich aber, wenn wir die strenge Opposition von grande littérature und littérature mineure aufgeben: Es<br />

ist das Problem und nicht die Lösung, bestimmte Texte mit dem Charakteristikum der Randstän-<br />

digkeit zu belegen. Im Anschluss an Abdul JanMohameds Kritik 92 schlägt Abbes Maazaoui aber<br />

genau das vor: Marginalisierung auf der Handlungsebene gehöre als viertes Kriterium zur littératu-<br />

re mineure (MAAZAOUI 1998, 82). Damit konterkarieren JanMohamed und Maazaoui geradezu den<br />

Ansatz Deleuzes und Guattaris, die das Kollektive an der littérature mineure eben nicht in ihrem<br />

Inhalt sehen, sondern die den Akzent auf die Funktionen und auf den Ausdruck legen, die dem<br />

Inhalt vorangehen (DELEUZE/GUATTARI 1975, 152f). Der Inhalt selbst ist auf der Handlungs-<br />

ebene <strong>bei</strong> Kafka ja äußerst zurückgedrängt, das zeigt sich in den Romanen wie dem Schloß oder<br />

dem Proceß und in Erzählungen wie In der Strafkolonie schon in dem bürokratischen Element, das<br />

auch für die Interpretation Deleuzes und Guattaris eine herausgehobene Rolle spielt.<br />

Es mag sein, dass in bestimmten Büchern, Maazaoui nennt Romane Rachid Boudjedras und Mo-<br />

hammed Dibs als Beispiele, auch auf der inhaltlichen Ebene eine Thematisierung der Marginalität<br />

eine Rolle spielt, doch dies ist nicht der zentrale Punkt des littérature mineure-Konzepts, wie es von<br />

Deleuze und Guattari entwickelt wird. Außerdem bleibt das Stichwort der Marginalisierung zu<br />

vage um trennscharf zu sein, denn „l’expérience individuelle et/ou collective de la marginalisation<br />

économique, géographique, ethnique, politique ou littéraire“ (MAAZAOUI 1998, 82) ist in dieser<br />

Breite in vielen literarischen Texten zu finden. Maazaoui und JanMohamed haben eine ganz be-<br />

stimmte Literatur im Kopf, die zwar mit den Kriterien von Deleuze und Guattari durchaus ver-<br />

einbar ist, sich aber nicht auf diese beschränkt. Doch genau diese Beschränkung scheinen mir<br />

Kritiken wie die ihre zu verfolgen 93 . Das Modell der littérature mineure soll für eine bestimmte<br />

91 Vgl. dazu auch BOGUE 1997, 115.<br />

92 Vgl. JANMOHAMED 1984, 297.<br />

93 Ähnlich verlaufen die Kritik von RENZA 1984 und die Entgegnung darauf von BENSMAIA 1994. In dieser Argumentation<br />

wird die Dichotomie von kanonisierter und nicht kanonisierter Literatur ausgebreitet. Renzas Vorwurf<br />

lautet, dass Autoren wie Kafka <strong>bei</strong> Deleuze und Guattari privilegiert würden, weil sie eine Literatur produzierten<br />

„which the major language or canonical critical codes can misrecognize as major according to their own standards.“<br />

(RENZA 1984, 34). Bensmaia reagiert darauf mit der Verteidigung, dass Kafka (oder Poe) zwar in den Kanon integriert<br />

worden seien, doch dass dies nicht zwangsläufig so geschehen sei: „Quite the contrary, this recuperation could be<br />

one more indication of the potency of the majoritarian literary model, whose force derives precisely from the fact<br />

that it makes possible both the deflection of the destabilizing power [...] of what can now be identified as minoritarian<br />

flows of texts, and their inscription after all as texts in the mainstream, the canon.” (BENSMAIA 1994, 218) Für<br />

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