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Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

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ungsgruppen im Wissenschafts- und Literaturbetrieb anführen 97 , ist nicht einzusehen, warum<br />

nur kulturelle Segregation diese politische Aufgabe ausfüllen können sollte. Ihre Vorschläge für<br />

die Errichtung alternativer Kanons sind von der Idee begleitet, dass nur diese Vorgehensweise<br />

eine spätere Verständigung mit der dominanten Kultur auf gleicher Augenhöhe ermöglichen<br />

würde. Sie argumentieren, dass eine Selbstdefinition und eine Selbstvalidierung der marginalisier-<br />

ten Gruppen „before any consideration of integration“ notwendig sind (JANMOHAMED/LLOYD<br />

1990, 240). Damit legen sie nahe, dass kulturelle Verständigung nur auf der Basis vorgängiger<br />

fester Identitäten möglich sei. Hierin liegt die Gefahr, dass damit essentialistischen Vorstellungen<br />

von Kultur Vorschub geleistet wird. Kultur ist genau wie Identitätsbildung im Sinne der eingangs<br />

zitierten Bemerkungen Hartmut Böhmes aber prozesshaft. Diese Erkenntnis ist dem poststruktu-<br />

ralistischen Denken inhärent, dem sich JanMohamed und Lloyd grundsätzlich verbunden füh-<br />

len 98 . Bei aller Sympathie für das Projekt von JanMohamed und Lloyd scheint es mir etwas naiv<br />

zu glauben, man könne „celebrate marginality and its specific manifestations without fetishizing<br />

or reifying it.“ (JANMOHAMED 1984, 298)<br />

Die Lösung des Problems muss meiner Ansicht nach darin bestehen, sichtbar zu machen, dass es<br />

Kultur als Identität, d.h. Kultur in einer stabilen Form von Wertekanons o.ä. nicht gibt. Es ist da<strong>bei</strong><br />

nötig, den Begriff der Allgemeinheit, wie ich ihn im letzten Abschnitt eingeführt habe, von dem<br />

zu unterscheiden, was JanMohamed zurecht als das humanistische Feiern allgemeinmenschlicher<br />

Werte identifiziert, hinter dem sich aber häufig nichts als ein stark wertender Ethnozentrismus<br />

verbirgt 99 . Die Allgemeinheit des minoritären Schreibens, die Deleuze und Guattari in jedem<br />

Schreibprozess begrüßen, bezieht sich hingegen auf eine formale Ebene, nicht auf eine inhaltlich<br />

wertende. Sie steht in Zusammenhang mit der Unbeherrschbarkeit der Sprache 100 . Eine Position<br />

wie die JanMohameds ist im Gegensatz dazu insofern naiv, als sie die Gefahr unterschätzt, die<br />

von einer grundsätzlichen Anerkennung von Stabilität in Kulturen ausgeht. Wenn ein Verhandeln<br />

auf gleicher Augenhöhe erreicht werden soll, dann meines Erachtens eher dadurch, dass der hu-<br />

manistische Kanon destabilisiert und homogene Kulturvorstellungen als unpassend entlarvt wer-<br />

den.<br />

In diesem Sinne schließe ich mich der Darstellung Trinh Thi Minh-Has an, die in ihrem Essay<br />

Outside In Inside Out nach der Möglichkeit einer klaren Trennung zwischen dem Mitglied einer<br />

97 Vgl. JANMOHAMED/LLOYD 1990, 236f. Zur unvermeidlichen Bezogenheit des Intellektuellen, der einer marginalisierten<br />

Bevölkerungsgruppe angehört, auf diese, vgl. auch DIRLIK 1994, 342.<br />

98 Vgl. JANMOHAMED/LLOYD 1990, 247.<br />

99 „One must always keep in mind that the universalizing humanist project has been highly selective, systematically<br />

valorizing certain texts and authors as the humanist tradition while ignoring or actively repressing alternative traditions<br />

and attitudes.“ JANMOHAMED/LLOYD 1990, 239.<br />

100 Vgl. z.B. BUTLER 1997, 46f et passim. In diesem Sinne ist Ronald Bogue zu widersprechen, wenn er in Bezug auf<br />

Deleuzes littérature mineure-Konzept behauptet, dass „his views of language [...] put him at odds with much of<br />

poststructuralism“ (BOGUE 1997, 99). Ansonsten sieht auch er die minor literature eher als ein minor writing und demzufolge<br />

als eine von Deleuze gewünschte Eigenschaft von Literatur im Allgemeinen.<br />

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