Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...
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gen. Es ist nicht gleichzusetzen mit „Einbildungskraft, Imagination und Phantasie“ (20f, Fußno-<br />
te). Es ist vielmehr dasjenige Glied der Trias (Reales, Fiktives und Imaginäres), das erst im Akt<br />
des Fingierens seine Bestimmtheit gewinnt, vorher aber eine konstitutive Vagheit besitzt. Das<br />
Fingieren leistet so nach Iser zwei Arten der Grenzüberschreitung: Zum einen macht es das Reale<br />
zum Zeichen und damit zu etwas Unbestimmtem. Wenn die „Minimaldefinition des Realen“<br />
nämlich seine Bestimmtheit ist (22), so verliert es diese als Zeichen im fiktionalen Text. Dafür<br />
wird die Instanz des Imaginären umgekehrt vom Unbestimmten zum Bestimmten überführt.<br />
Reales, Fiktives und Imaginäres sind demnach „nur Qualitäten eines Sachverhalts [...], der sich<br />
aus ihren Wechselbeziehungen ergibt“ (22). Jedes Glied der Trias besitzt eine unterschiedliche<br />
Funktion in Bezug auf die Weltwahrnehmung. Sie unterscheiden sich nicht durch feste,<br />
zuschreibbare Eigenschaften, sondern ermöglichen im Bezug aufeinander lediglich die Unter-<br />
scheidung verschiedener Aggregatzustände der Weltwahrnehmung.<br />
Man könnte sagen, der Akt des Fingierens verunsichere die Position von Bestimmtheit und Un-<br />
bestimmtheit in Bezug auf unsere Weltwahrnehmung. Er gewinnt so den „Charakter des Ereig-<br />
nisses“ (45), in dem diesbezüglich sicher geglaubte Grenzziehungen überschritten werden. Für<br />
Iser entsteht hieraus eine Spannung, die danach drängt, das Erfahrene wieder in Sinnzusammen-<br />
hänge einzuordnen. Dieser Semantisierungsprozess ist nun aber rezipientenabhängig:<br />
136<br />
„Es erscheint daher nur als natürlich, dass die ereignishafte Erfahrung des Imaginären<br />
sinnsuchende oder sinnsetzende Aktivitäten im Rezipienten auslöst, um das Ereignis auf<br />
Vertrautes zurückzubringen, was dem Ereignis insofern widerspricht, als dieses erst im<br />
Überschreiten von Bezugssystemen zu einem solchen wird.“ (46)<br />
Der Sinn des Textes wird so zur „Pragmatisierung des Imaginären“ (46), er ist dem Text weder<br />
eingezeichnet, noch geht er ihm voraus.<br />
Isers Beschreibung ist zwar dazu da, die Fiktionalität eines Textes zu erklären und ihn von seinem<br />
nicht-fiktionalen Gegenstück zu unterscheiden, doch schon sein Beharren auf dem Funktions-<br />
charakter dieser Kategorien hat diesen Unterschied als absoluten einstürzen lassen. Grenzen sind<br />
also nicht nur in ihrem Bezug auf die allgemeine Bedeutung von Sprache fließend (Wittgenstein),<br />
sondern auch im Bezug auf Realität und Fiktion, auf Ernsthaftigkeit und Nicht-Ernsthaftigkeit.<br />
In der Sprache finden stets Übersetzungsprozesse statt: „Ist das Fiktive die Übersetzung des I-<br />
maginären in die konkrete Gestalt zum Zweck des Gebrauchs, so ist die Semantisierung die Ü-<br />
bersetzung eines erfahrenen Ereignisses in die Verstehbarkeit des Bewirkten“ (47). Diese Über-<br />
setzungen sind aber „pragmatisch“ zu denken, also gebunden an viele situationsspezifische Fak-<br />
toren. Sie sind keine eins-zu-eins Übersetzungen, sondern Interpretationen eines vielfältigen Um-<br />
felds. Wahrnehmung ist auch <strong>bei</strong> Iser abhängig von dem, was dem jeweiligen Rezipienten ver-<br />
traut ist. Wenn es diesem dennoch so scheinen will, als könne gerade seine Deutung eines Textes<br />
(oder einer sprachlichen Äußerung überhaupt) allgemeine Gültigkeitsansprüche erheben, so ist