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Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

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passim). Der Mann handelt hier als Bürger im Rahmen des Staates, der nach dem menschlichen<br />

Gesetz konstruiert ist. Die Frau handelt als Hüterin der Familie und ist dem göttlichen Gesetz<br />

verpflichtet 300 : Sie ist „die ewige Ironie des Gemeinwesens – [sie] verändert durch die Intrige den<br />

allgemeinen Zweck der Regierung in einen Privatzweck, verwandelt ihre allgemeine Tätigkeit in<br />

ein Werk dieses bestimmten Individuums und verkehrt das allgemeine Eigentum des Staats zu<br />

einem Besitz und Putz der Familie“ (HEGEL 1807, 352f).<br />

Doch Antigone – zwar Frau – ist keine Unpolitische, die eine Übertretung begeht, indem sie die<br />

private Ordnung über die Ordnung des Staates stellt. Sie ist ebenso wenig Angehörige eines mar-<br />

ginalen Bereichs, der klar von einem zentralen Bereich unterschieden werden könnte 301 . Antigone<br />

hat vielmehr teil an der Ordnung, gegen die sie aufbegehrt. Die klare Binarität von männlicher<br />

und weiblicher, öffentlicher und privater Sphäre, von staatlicher Autorität und Verwandtschaft in<br />

dieser Tragödie Sophokles’ wie Hegel sie beschreibt, ist so für Judith Butler ein Trugschluss.<br />

Denn „wenn Verwandtschaftsbeziehungen zu einer Bedrohung für die staatliche Autorität wer-<br />

den und der Staat sich gewaltsam gegen diese Verwandtschaftsbeziehungen wendet – können<br />

diese <strong>bei</strong>den Begriffe dann überhaupt noch ihre wechselseitige Unabhängigkeit behaupten?“ (18)<br />

Mit dieser gegenseitigen Bestimmung von Staat und Familie weist Butler auf die soziale Verferti-<br />

gung von Verwandtschaftsbeziehungen hin, die eben nicht als natürlich im Gegensatz zu einer<br />

kulturellen Gesellschaftsordnung gesehen werden können. Sie wendet sich damit gegen die Be-<br />

hauptung einer vorsozialen Existenz der Verwandtschaft, wie sie z.B. von Lacan konzeptualisiert<br />

worden sei 302 .<br />

Es wird in diesem Kapitel zu untersuchen sein, inwieweit Assia Djebar der Deutung der Antigone<br />

folgt, die Butler entwirft, d.h. wie sie den Zusammenhang von Weiblichkeit und politischer<br />

Handlungsfähigkeit konzeptualisiert. Zunächst fällt auf, dass Djebar ebenso wie Butler die Natür-<br />

lichkeit von Verwandtschaftsbeziehungen problematisiert. Der Roman führt ausführlich drei El-<br />

tern-Kind-Beziehungen vor, in denen die Kinder (Mina, Thelja, Irma) den Leidenschaften ihrer<br />

Eltern auf je unterschiedliche Weise geopfert werden. Im ersten Abschnitt meiner Analyse möch-<br />

te ich mich mit diesem Thema auseinandersetzen und es in seinen vielfältigen Facetten <strong>bei</strong> Assia<br />

Djebar aufdecken. Diese Betrachtungen werden mich zwangsläufig zu einem zweiten themati-<br />

schen Block führen, nämlich der Handlungsfähigkeit von Frauen in Les nuits de Strasbourg. Es wird<br />

sich zeigen, dass Djebar kein einheitliches Frauenbild vorführt, sondern in ihrem Roman diesbe-<br />

300 Gerade diese die Passage <strong>bei</strong> Hegel durchziehende Unterscheidung in menschliches und göttliches Recht ist eine<br />

direkte Entlehnung von Sophokles: „Der das verkündete, war ja nicht Zeus;/Auch Dike in der Totengötter Rat/Gab<br />

solch Gesetz den Menschen nie. So groß/Schien dein Befehl mir nicht, der sterbliche,/Dass er die ungeschriebnen<br />

Gottgebote,/Die wandellosen, konnte übertreffen“ (SOPHOKLES ca. 442 v.Chr., V.450-455).<br />

301 Die Figur der Antigone stützt also – neben<strong>bei</strong> bemerkt – nicht die Meinung JanMohameds oder Maazaouis in<br />

Bezug auf die interkulturelle Literatur, die Marginalität als notwendig ansieht, um politische Wirkung zu erzielen.<br />

302 Vgl. BUTLER 2001, 34, 71ff.<br />

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