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Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

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Bekenntnis zum Genie, zur „geheiligte[n] Gabe der Götter“ deutlich gemacht hat, dass für ihn<br />

Literatur wesenhaft über ihre greifbare Manifestation hinausgeht: „Wenn wahre Dichtkunst vor<br />

aller Schrift und nur vor derselben war: wie vielmehr war sie vor allem Druck, und vorm Druck<br />

unter solchen Umständen, in solchem Formate.“ 181<br />

Goethe ist in seiner Position zu diesem Dissens zwischen Klopstock und Herder nicht eindeutig.<br />

Er scheint mir eine vermittelnde Strategie zu verfolgen, die diesen Konflikt nicht offen anspricht,<br />

stattdessen aber immer auf die geistig herausragenden Qualitäten der <strong>bei</strong>den Kontrahenten hin-<br />

weist 182 . In Bezug auf Johann Heinrich Merck bringt er nämlich inhaltlich das Merkantile und das<br />

Kreative in Opposition (507), wo er es doch in der oben zitierten Stelle im Zusammenhang mit<br />

Klopstock nicht so genau mit dieser Kritik nimmt 183 . Vielleicht liegt es daran, dass Klopstock für<br />

ihn ein Genie, Merck aber nur ein Dilettant ist (398 bzw. 507). Zudem erklärt Goethe bereits im<br />

10. Buch von Dichtung und Wahrheit das Gelegenheitsgedicht zur „ersten und echtesten aller<br />

Dichtarten“ (397), wo doch gerade dieses als Sinnbild für die Ökonomisierung der Literatur gel-<br />

ten kann 184 .<br />

<strong>Was</strong> ist also von dem mäandernden Kurs zu halten, den Goethe in Bezug auf das Verhältnis von<br />

Geld und Literatur einschlägt? Um klarer zu sehen, möchte ich dazu noch einen Abschnitt zitie-<br />

ren, in dem Goethe zur Bibelexegese Stellung nimmt. Diese wird für ihn zum Muster für die Su-<br />

che nach Wahrheit im Text ganz allgemein.<br />

„Denn schon damals hatte sich <strong>bei</strong> mir eine Grundmeinung festgesetzt, ohne dass ich zu<br />

sagen wüsste, ob sie mir eingeflößt, ob sie <strong>bei</strong> mir angeregt worden, oder ob sie aus eignem<br />

Nachdenken entsprungen sei. Es war nämlich die: <strong>bei</strong> allem, was uns überliefert, besonders<br />

aber schriftlich überliefert werde, komme es auf den Grund, auf das Innere, den Sinn,<br />

die Richtung des Werks an; hier liegt das Ursprüngliche, Göttliche, Wirksame, Unantastbare,<br />

Unverwüstliche, und keine Zeit, keine äußere Einwirkung noch Bedingung könne<br />

diesem innern Urwesen etwas anhaben, wenigstens nicht mehr als die Krankheit des<br />

Körpers einer wohlgebildeten Seele.“ (509; Hervorhebung, B.S.)<br />

Danach kommt, was kommen muss, die Schrift wird als Körper und korrupte Fehlerquelle des<br />

geistigen Werks ausgemacht. Das Schriftkonzept wird zwar nicht in Opposition zur Sprache ge-<br />

bracht, diese vielmehr ebenso zur verderblichen Sphäre des Materiellen gerechnet, aber dennoch<br />

wird deutlich, dass sich Goethe hier auf eine Vorstellung des Geistigen bezieht, die zum Anlass<br />

für die poststrukturalistische Kritik geworden ist, nämlich auf eine Vorstellung, die in geistigen<br />

Erzeugnissen etwas Immaterielles verortet, das als Ziel der Interpretation freigelegt werden muss.<br />

Goethe nennt dieses Etwas „den Sinn der Sache“ (509), der durch das Sprachmaterial insgesamt<br />

181 HERDER 1778, zit. nach BOSSE 1981, 48.<br />

182 Vgl. GOETHE 1813, 398f zu Klopstock, 405, 408, 507 zu Herder.<br />

183 Auch was seine eigene Produktion betrifft hat Goethe offenbar die merkantile Seite des Literaturbetriebs gut<br />

beherrscht und zu nutzen verstanden, vgl. hierzu BOSSE 1981, 79f.<br />

184 Vgl. dazu BOSSE 1981, 80ff.<br />

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