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Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

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scheint so klar zu sein, dass man den Eindruck gewinnt, eine Lesart, die nicht in dieser Weise<br />

fokussiert ist, sei den Texten nicht angemessen.<br />

Diesen Gestus wiederholt nun Roblès im angeführten Zitat und geht sogar noch weiter: Driss<br />

Chraïbi ist inzwischen – glücklicherweise – auf seinen „wahren Weg“ gelangt, gleichsam seiner<br />

Bestimmung gerecht und also Schriftsteller geworden. Dieses Feiern der Person des Autors ist<br />

gerade vor dem Hintergrund der Rezeption der Texte Chraïbis bezeichnend und verräterisch,<br />

wenn es an sich auch nicht auf Autoren der Interkulturellen Literatur beschränkt ist. Doch gerade<br />

im Umgang mit dieser tritt ein Text immer sehr weit hinter seinen Verfasser zurück und ist von<br />

diesem in besonders eklatanter Weise abhängig, wie es in diesem Ausmaß für „gewöhnliche“ Na-<br />

tionalliteraturen nicht oder nicht mehr gilt. Michel Foucault hat zurecht bemerkt, dass der Autor<br />

für das Werk eine Homogenisierungsfunktion hat, dass er mit seinem immer wiederholten Na-<br />

men die Ungereimtheiten und Widersprüche, die aus derselben Feder stammen, überbrücken soll<br />

(FOUCAULT 1969, 802). Dies gilt in der Tat für alle Literatur. Doch für die interkulturelle Litera-<br />

tur hat der Autor – zumindest nach der Vorstellung der meisten Interpreten – darüber hinaus<br />

eine viel „authentischere“ Rolle auszufüllen: Er ist eine Art Zeitzeuge, seine Texte sind Doku-<br />

mente, die zwar fiktional sind, aber doch vor allem anderen auf einen historischen und/oder sozia-<br />

len Hintergrund verweisen 164 . Während also Foucault die Nachträglichkeit und Fiktionalisierungs-<br />

tendenz des Autorbegriffs betont, wird in der Rezeption der interkulturellen Literatur bisher eher<br />

seine Simultaneität und faktische Beglaubigungstendenz herausgestrichen. Ohne den Bezug auf<br />

den Autor grundsätzlich als „naiv“ brandmarken zu wollen 165 , ist ein Element doch sehr auffällig:<br />

Vor dem Hintergrund des Sekundärdiskurses zur interkulturellen Literatur hat man eher den<br />

Eindruck, als naiv zu gelten, wenn man autorkritische Positionen vertritt. Diese Brandmarkung<br />

geschieht aber nicht so sehr durch eine theoretische Auseinandersetzung mit solchen Positionen,<br />

sondern über deren weitgehende Aussparung. Das ist umso erstaunlicher, als Vertreter autorkriti-<br />

scher Ansätze, wie Foucault oder Derrida, für die postkoloniale Literaturtheorie eine gewichtige<br />

Rolle spielen.<br />

Es scheint mir deshalb angeraten zu sein, Begriffe wie den der Identität auch in diesem Kontext<br />

zu lesen. Mein Eindruck ist, dass Chraïbi mit diesem Begriff auf den sprachphilosophischen und<br />

literaturwissenschaftlichen Diskurs der letzten Jahrzehnte anspielt, dass seine Romane – im vor-<br />

liegenden Fall behandle ich vor allem L’inspecteur Ali – eben auch und vielleicht sogar vor allem<br />

Überlegungen zu literaturtheoretischen Problemstellungen enthalten. Identität wäre in diesem Sin-<br />

ne nicht so sehr in Bezug auf autobiographische Details oder kulturelle Hintergründe hin zu se-<br />

164 Vgl. hierzu erneut die commande implicite, derzufolge Texte Autorinnen mit Migrationshintergrund genau diese<br />

Funktion zu erfüllen haben (BONN 1996, 3).<br />

165 Eine Tendenz, die JANNIDIS ET AL. 1997, 3 beklagen; ich gehe auf die Kritik an der Kritik am Autor im folgenden<br />

noch ausführlicher ein.<br />

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