Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...
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hat es Barthes formuliert, wo<strong>bei</strong> der Leser hier als Kollektivbegriff gebraucht ist, als die Vielzahl<br />
der Leser, die den Text stets anders zu deuten berechtigt sind, als dies vor ihnen der Fall war.<br />
Doch Barthes geht noch weiter, er wittert hinter dem Autorbegriff andere Begriffe wie Gesell-<br />
schaft, Geschichte etc., die seine Essenz bilden. Seine Bedenken sind verständlich. Er fürchtet <strong>bei</strong><br />
all den aufgezählten Hypostasen des Autors eine Knebelung des freien Spiels des Textes. Er fürchtet,<br />
dass die Produktion von Bedeutung in einem Text durch diese Instanzen (den Autor und seine<br />
Hypostasen) ausschließlich an den historischen Moment seiner Entstehung oder seine Produkti-<br />
onsbedingungen gebunden wird (eine Fokussierung, die ja auch in der diskursanalytischen Praxis<br />
vorgenommen worden ist 173 ), möchte dem Text aber seine unvoreingenommene Lesbarkeit erhal-<br />
ten.<br />
Hier tun sich offensichtlich nicht nur praktische Probleme auf (auf welcher Grundlage darf ein<br />
Text noch interpretiert werden?), sondern vor allem auch theoretische, denn wie kann man sich<br />
Lektüre anders vorstellen als durch bestimmte kulturelle Vorbedingungen – die Barthesschen<br />
Hypostasen des Autors – geprägt? Ist eine solch wechselnde Verankerung des Textes nicht ge-<br />
nauso bedenklich wie die in der Zeit seiner Produktion? Wenn nein, warum nicht? Weil der Text<br />
nicht geschlossen werden kann, weil ihm die Autorität des Produzenten abgeht? – ein Fehl-<br />
schluss, wie z.B. die Interpretationspraxis des sozialistischen Realismus beweist 174 . Nur: woran<br />
soll sich eine Lektüre denn dann orientieren? Barthes’ Forderungen scheinen eher dahin zu ge-<br />
hen, die einmal gemachte Interpretation immer wieder zu verändern, keine Version jemals gelten<br />
zu lassen. Aber was macht dann eine Interpretation plausibler als eine andere 175 ? Zu jeder Zeit,<br />
<strong>bei</strong> jedem Leser etwas anderes? Barthes gibt auf diese Fragen keine Antwort.<br />
Wie man es dreht und wendet, Lektüre bleibt immer mit personalen, mit historischen oder e-<br />
pistemischen Instanzen verbunden. Das kann Barthes nicht überzeugend ausräumen. Ob diese<br />
Notwendigkeit gleich „in essence theocentric“ (BURKE 1992, 25) ist, erscheint mir fragwürdig.<br />
Burkes Einwand, Barthes trage eher zur Konstruktion als zur Zerstörung des „Autor-Gottes“ <strong>bei</strong><br />
(26), scheint mir als zu weitgehend, denn er unterschlägt den Barthesschen Impetus, einer ganzen<br />
(akademisch) gebildeten gesellschaftlichen Klasse das Deutungsmonopol über Texte abzuerken-<br />
nen. Barthes, diese Einsicht scheint mir <strong>bei</strong> seiner Argumentation naheliegend, steuert gerade-<br />
wegs auf eine Popularisierung des literarischen Feldes zu. Deshalb sind innerakademische Argu-<br />
173 Als Beispiel sei genannt KITTLER 1984, ein Aufsatz mit dem Titel „Carlos als Karlsschüler“, in dem Friedrich<br />
Kittler versucht Don Carlos im Zusammenhang mit den Erlebnissen Schillers als Schüler der Hohen Carlsschule in<br />
Stuttgart zu lesen. Vgl. zur speziellen Art der historischen Bezugnahme in der Diskursanalyse grundlegend<br />
FOUCAULT 1969a, 230f; zum Begriff der Episteme in diesem theoretischen Rahmen, ebd. 250.<br />
174 Wo<strong>bei</strong> dies wohl wieder ein Beispiel für die Macht von Kritikern wäre, die Barthes ja gerade im Bund mit der<br />
Instanz des groß geschriebenen Autors sieht.<br />
175 Diese Frage stellt auch HIRSCH 1967, wenn auch zu dieser Zeit noch nicht direkt an Barthes.<br />
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