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Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

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dition. Für <strong>bei</strong>de Komponenten ist die Widerständigkeit von Sprache in der Kommunikationssi-<br />

tuation wichtig, das haben die Analysen bisher gezeigt. Ein ernster Hintergrund und der Versuch<br />

ihn zu kommunizieren stellen sich <strong>bei</strong> Özdamar als höchst problembeladen dar und das ganz<br />

unabhängig von der prinzipiellen Vertrautheit mit einem Medium. Die Kommunikation scheitert<br />

nicht an mangelnder Sprachkompetenz, sondern vielmehr an den grundsätzlichen Unterschieden<br />

der Lebensumstände der beteiligten Parteien. Ähneln sie sich, ist Verständnis tendenziell unab-<br />

hängig vom Medium gesichert; divergieren sie, nützt auch ein geteiltes Medium nichts. Bisher<br />

habe ich vor allem den zweiten Aspekt betrachtet, der Ausflug der Ich-Erzählerin nach Paris ist<br />

eine Gelegenheit, den ersten Aspekt an einem Beispiel zu beschreiben.<br />

Bemerkenswert ist zunächst der Umstand, dass die Erzählerin über ihre griechischen Freunde in<br />

Berlin nach Paris gelangt 415 . Erneut in einer Situation, in der es ihr an der Beherrschung des Me-<br />

diums mangelt, „sucht[ ]“ sie „auf den Pariser Straßen die deutsche Sprache“ (124). Doch ein<br />

junger Mann, den sie in der Metro trifft, weist sie auf die Inadäquatheit des Deutschen für die<br />

französische Hauptstadt hin, denn „das ist die Sprache von Hitler und Goebbels“ (125). Der jun-<br />

ge Mann ist da<strong>bei</strong> das Echo ihrer eigenen Kommunikation auf Deutsch, denn auch er entschul-<br />

digt sich ununterbrochen, wenn er Französisch redet. Für die Erzählerin bleibt dieser Verweis auf<br />

Nazideutschland eher unverständlich. „Ich sagte: ‚Ich liebe Kafka’“, lautet ihre Entgegnung auf<br />

die Erklärung des jungen Mannes. Zunächst ist also auch in Paris die Sprache eher ein Hindernis<br />

der Kommunikation, als dass sie zu deren Förderung <strong>bei</strong>trüge. Hier speist sich diese Widerstän-<br />

digkeit der Sprache aus einer bisher von Özdamar nicht angesprochenen explizit historischen<br />

Quelle (der deutschen Besatzung Frankreichs), die eher auf semantische Sedimente verweist, wie<br />

sie für die Überlegungen Judith Butlers eine Rolle spielen und wie wir sie auch <strong>bei</strong> Assia Djebar<br />

gefunden haben, wenn hier auch weniger ausschließlich auf die Sprache selbst bezogen.<br />

Dass der griechische Freund inzwischen nicht mehr in Paris, sondern in Marseille wohnt, gibt im<br />

Roman Anlass zur Begegnung der Erzählerin mit ihren türkischen Landsleuten. Sie übernachtet<br />

zunächst in einem türkischen Studentenwohnheim und die Bekanntschaften, die sie dort macht,<br />

scheinen vor allem auf zweierlei hinauszulaufen. Zum einen wird sie mehrfach in Gesprächen, die<br />

an komisch verfremdete Verhörsituationen erinnern, über kommunistische türkische Studenten<br />

in Berlin ausgefragt (es wird nicht ganz deutlich ob zwecks Konspiration oder zwecks Verrat),<br />

zum anderen kommt es zur ersten Möglichkeit, sich des Diamanten zu entledigen. Ein „schöner<br />

türkischer Mann“ kommt in der Nacht zur Ich-Erzählerin und macht den Vorschlag: „’Wir sind<br />

415 Es ist überhaupt erwähnenswert, wie gut die Verständigung der Ich-Erzählerin mit ihren griechischen Bekannten<br />

funktioniert. Es gibt nur eine Stelle im Roman, an der die historische Rivalität zwischen Griechen und Türken wirklich<br />

deutlich wird, nämlich als eine „Septembernacht im Jahre 1955“ Erwähnung findet, in der „nationalistische Türken<br />

die Läden, orthodoxen Kirchen und Friedhöfe der Istanbuler Griechen zerstört hatten“ (220f). Doch auch dieses<br />

Ereignis ist eingebettet in die Schilderung des guten Miteinanders von Istanbuler Griechen und Türken.<br />

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