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Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...

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Prozesshaftigkeit bedeutet da<strong>bei</strong> den Verzicht auf einen Ursprung viel eher als eine Fokussierung<br />

auf das Individuelle und einen Verlust des Gemeinschaftlichen bzw. Politischen. So leitet Bhabha<br />

etwa seine Überlegungen zur Verortung der Kultur dergestalt ein, dass er für die Identitätskonstitu-<br />

tion in der modernen Welt eine Abkehr von großflächigen Erklärungsmustern sieht – er nennt<br />

hier Geschlecht oder Klasse als Beispiele. Subjekte sind in seiner Theorie nicht mehr überwiegend als<br />

einer einzelnen Gruppe zugeordnet zu deuten. Sie konstituieren sich vielmehr in einem viel brei-<br />

teren Spektrum von Selbst- und Fremdzuschreibungen.<br />

„Theoretisch innovativ und politisch entscheidend ist die Notwendigkeit, über Geschichten<br />

von Subjektivitäten mit einem Ursprung oder Anfang hinaus zu denken und sich auf<br />

jene Momente oder Prozesse zu konzentrieren, die <strong>bei</strong> der Artikulation von kulturellen<br />

Differenzen produziert werden. Diese ‚Zwischen’-Räume stecken das Terrain ab, von<br />

dem aus Strategien – individueller oder gemeinschaftlicher – Selbstheit ausgear<strong>bei</strong>tet werden<br />

können [...].“ (BHABHA 1993, 2)<br />

In diesem Sinne bedeutet Prozesshaftigkeit auch keineswegs Heimat- oder Bindungslosigkeit, sondern<br />

die allgemeine Erfahrung im Sinne von Bhabhas Zwischenräumen. Selbstheit ist für ihn nicht so<br />

sehr feste Größe als vielmehr operatives Zentrum einer Strategie des Selbstentwurfes. Es ist, an-<br />

ders gesagt, für Bhabha nicht entscheidend, woher jemand kommt, um zu definieren, was aus<br />

ihm wird. Es scheint noch nicht einmal so zu sein, dass die Gemeinschaft eine übergroße Rolle<br />

spielt. Vielmehr akzentuiert Bhabha die Reaktion auf die Artikulation von Differenz, die in jeder<br />

kulturellen Situation ständig vorkommt und dies in Bezug auf alles mögliche, von kleinteiligen<br />

Verhaltensweisen oder Gewohnheiten bis zu großen Entwürfen des Lebensweges. Wenn ich<br />

Bhabha richtig verstehe, möchte er diese Vielfalt gerade nicht unter die strukturierenden Labels<br />

von Rasse, Klasse oder Geschlecht zusammenfassen. Er hebt vielmehr den dritten Raum, den<br />

Raum der Subversion, die Hybridität hervor, die jedem Entwurf zugleich als Reihe von Reakti-<br />

ons- und Reproduktionsmöglichkeiten innewohnen:<br />

„Die Repräsentation von Differenz darf nicht vorschnell als Widerspiegelung vorgegebener<br />

ethnischer oder kultureller Merkmale gelesen werden, die in der Tradition festgeschrieben<br />

sind. Die gesellschaftliche Artikulation von Differenz ist aus der Minderheitenperspektive<br />

ein komplexes, fortlaufendes Verhandeln, welches versucht, kulturelle<br />

Hybriditäten zu autorisieren, die in Augenblicken historischen Wandels aufkommen.“<br />

(BHABHA 1993, 3)<br />

Hybridität wird so zu Handlungsfähigkeit, ja fast schon zu Handlungsnotwendigkeit 138 . In Bhab-<br />

has Konzeption hat sie jedenfalls nichts mehr zu tun mit einer – wie auch immer vorgestellten –<br />

138 Hier trifft sich der Hybriditätsbegriff Bhabhas auch mit der Funktion von Literatur, wie Stephen Greenblatt sie<br />

beschreibt. Literatur ist „manifestation of the concrete behavior of its particular author, [...] the expression of the<br />

codes by which behavior is shaped, and [...] a reflection upon those codes“ (GREENBLATT 1980, 4). Diese Funktionalisierung<br />

beobachtet Greenblatt in der Renaissance, in der „there appears to be an increased self-consciousness<br />

about the fashioning of human identity as a manipulable, artful process“ (2). Diese Idee des self-fashioning hat sich<br />

gerade auch für die theoretische Erfassung der Gattung Autobiographie als außerordentlich fruchtbar erwiesen, vgl.<br />

hierzu z.B. GOLDMANN 1994.<br />

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