Was heißt „interkulturelle Literatur“? - bei DuEPublico - Universität ...
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Nur die Intention vermag also die angemessene Interpretation einer Äußerung zu gewährleisten,<br />
verschwindet sie, wie im Falle der Schrift zeitweilig möglich, ist diese ungerechten Beleidigungen<br />
von Seiten der Unverständigen ausgesetzt. Erst die Erklärung des Autors durch Präsenz verbürgt<br />
die vollkommen angemessene Deutung, nur sie gewährleistet die Identifikation des Autors mit<br />
seinem sprachlichen Produkt. In genau dieser Hinsicht ist der hier kursorisch nachgezeichnete<br />
Diskurs über ernsthaftes Sprechen, über Aufrichtigkeit und über die Unglücksfälle der Sprache,<br />
die Missverständnisse und parasitären Fiktionalisierungen auf den Begriff der Verantwortung<br />
bezogen. Die Frage ist, ob es Formen der Verantwortung jenseits dieser Unterscheidungen geben<br />
kann:<br />
„Wenn hate speech Zitatcharakter hat, bedeutet das, dass der Sprecher für den Gebrauch<br />
dieses Sprechens nicht verantwortlich ist? Kann man sagen, dass er von jeder Verantwortung<br />
frei ist, da ein Anderer dieses Sprechen erfunden hat, das er selbst nur gebraucht?<br />
Ich würde dagegen halten, dass der Zitatcharakter des Diskurses unser Verantwortungsgefühl<br />
eher stärken und vertiefen kann.“ (BUTLER 1997, 45f)<br />
Wenn die Sprache nach Regeln funktioniert, die ich nicht mitgestaltet habe, sondern die ich ein-<br />
fach nur zu gebrauchen lerne, ist die Vermutung, man könne für seine Äußerungen nicht zur<br />
Verantwortung gezogen werden 235 , zunächst nicht völlig von der Hand zu weisen. Ebenso gilt<br />
aber, worauf Derrida mit seiner Société à responsabilité limitée hingewiesen hat, nämlich dass ein Re-<br />
kurs auf die offensichtliche Wahrheit, die man dann auch noch mit einem persönlichen Copyright<br />
belegen will, eine außerordentlich merkwürdige Sache ist 236 . Die Geste, die Derrida hier so skep-<br />
tisch betrachtet, ist im Kern totalitaristisch, sie markiert eine persönliche Aussage, weist dieser<br />
aber im selben Augenblick den Status einer allgemeinen Wahrheit zu. Dadurch wird die behaup-<br />
tete Verantwortung unabweisbar untergraben. Für eine offenbare Wahrheit braucht es keine Ver-<br />
antwortung, denn sie ist allen Wohlmeinenden frei zugänglich. In diesem Sinne ist die Diagnose<br />
Searles, Derrida habe „a distressing penchant for saying things that are obviously false“ (SEARLE<br />
1977, 203), tatsächlich beunruhigend, genau wie der angeblich wertfreie Ausdruck des Parasiten,<br />
von dem nur ein Übelmeinender das Gegenteil annehmen kann.<br />
Auf die allgemeine Iterabilität der Sprache sollte also nicht mit einem Rückzug auf die nun ver-<br />
meintlich mögliche Abweisung von absoluter Verantwortung reagiert werden, sondern mit einer<br />
Übernahme von Verantwortung für die Sprache, die man selbst nicht verschuldet hat. Dazu ge-<br />
hört sicher auch eine wache Teilnahme am Sprachspiel, ein Hinterfragen der Regeln, die zu be-<br />
achten erwartet wird. Der Verweis auf eine objektive Wahrheit ist in letzter Konsequenz eine<br />
235 Vgl. auch DERRIDA 1971, 376.<br />
236 Vgl. DERRIDA 1977, 2.<br />
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