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Der Wahrheit nicht ganz verpflichtet Esperanto in ... - Plansprachen.ch

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„alle Mens<strong>ch</strong>en“ „für<strong>ch</strong>ten“ müssten, dass „e<strong>in</strong> dritter Weltkrieg e<strong>in</strong> Atomkrieg wird, der die gesamte<br />

Zivilisation völlig zerstören kann“, war bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Grad bere<strong>ch</strong>tigt, denn<br />

Atomsprengkörper lagen <strong>in</strong> den Militärarsenalen zuhauf herum. Dessen war man si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Westen<br />

bewusst. In der Folge wurde die Kriegsangst <strong>in</strong> der esperantist immer wieder von Neuem bis zum<br />

Überdruss ges<strong>ch</strong>ürt. In der letzten Ausgabe des Jahres 1967 wurde unter anderem e<strong>in</strong> Brief mit e<strong>in</strong>em<br />

Vertragsvors<strong>ch</strong>lag des Vorsitzenden des M<strong>in</strong>isterrates der DDR, Willi Stoph, an den Bundeskanzler<br />

Kies<strong>in</strong>ger <strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong>-Übersetzung abgedruckt und die BRD bes<strong>ch</strong>uldigt, „seit nunmehr 18 Jahren<br />

den Weg zu Frieden und Verständigung“ „systematis<strong>ch</strong>“ zu „blockieren“. Ebenfalls wurde die Leitung<br />

des westdeuts<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>bundes bes<strong>ch</strong>uldigt, „jedes Verständigungsangebot, das ihr [von Seiten<br />

der DDR] unterbreitet wurde, entweder zu ignorieren oder (...) zu h<strong>in</strong>tertreiben“. 1967 fand au<strong>ch</strong> der<br />

VII. Parteitag der SED statt, der <strong>in</strong> der esperantist ausdrückli<strong>ch</strong> gewürdigt wurde. Bei dieser<br />

Gelegenheit wurde das Referat Ulbri<strong>ch</strong>ts abgedruckt, <strong>in</strong> dem der poststal<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e DDR-Herrs<strong>ch</strong>er<br />

über „Allgeme<strong>in</strong>e Entwicklungstendenzen der sozialistis<strong>ch</strong>en Kultur“, über das „ständige Lernen als<br />

normale Verhaltensweise des tätigen Mens<strong>ch</strong>en“ und über die „Universalität der<br />

Bildungsmögli<strong>ch</strong>keiten“ ausführli<strong>ch</strong> parlierte. 34 Sonst wurde <strong>in</strong> der esperantist auf e<strong>in</strong>en Ulbri<strong>ch</strong>t-Kult<br />

verzi<strong>ch</strong>tet. 35<br />

E<strong>in</strong>en regelre<strong>ch</strong>ten rhetoris<strong>ch</strong>en Ausfall unternahm der esperantist 20-21/1968 gegen e<strong>in</strong>e<br />

Bros<strong>ch</strong>üre mit dem Titel ‚Tatsa<strong>ch</strong>en über Deuts<strong>ch</strong>land’, die vom Presse- und Informationsamt der<br />

BRD-Regierung <strong>in</strong> <strong>Esperanto</strong> herausgegeben wurde. In rüdem Ton erregte si<strong>ch</strong> ‚Rezensent’ Hans<br />

Ei<strong>ch</strong>horn wegen e<strong>in</strong>er dar<strong>in</strong> enthaltenen Landkarte, auf der die DDR und die VR Polen wie<br />

weggewis<strong>ch</strong>t waren. Dies sei e<strong>in</strong>e „Respektlosigkeit, Ausdruck des Revan<strong>ch</strong>ismus“, ja es sei „zum<br />

Kotzen, was man <strong>in</strong> dieser Bros<strong>ch</strong>üre sonst no<strong>ch</strong> über die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Deuts<strong>ch</strong>lands lesen“ könne; die<br />

„Forderung polnis<strong>ch</strong>en, sowjetis<strong>ch</strong>en und ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Territoriums“ wurde als ungeheuerli<strong>ch</strong><br />

empfunden. Mit „Abs<strong>ch</strong>eu“ lese man allerlei „Lügen über die DDR“, es sei „beängstigend, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

e<strong>in</strong>zigen Satz über den Nationalsozialismus die Vergangenheit“ abzuhandeln. Was wohl Zamenhof<br />

sagen würde, der von der „Glei<strong>ch</strong>heit und Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung aller Völker“ spra<strong>ch</strong>, wurde gefragt. Die<br />

„revan<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>e Haltung des westdeuts<strong>ch</strong>en <strong>Esperanto</strong>-Bundes“ sei dur<strong>ch</strong>aus <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> neu. S<strong>ch</strong>on habe<br />

dieser bei der Übersetzung e<strong>in</strong>er Publikation über die Sowjetzone Deuts<strong>ch</strong>lands von 1960 mitgeholfen,<br />

Lügen zu verbreiten. Es sei „verrückt“, <strong>Esperanto</strong> zu verwenden, um das Territorium zu fordern, auf<br />

dem der Gründer des <strong>Esperanto</strong> geboren wurde, zumal er von e<strong>in</strong>em souveränen polnis<strong>ch</strong>en Staat<br />

geträumt habe. 36 Auf polnis<strong>ch</strong>er Seite stiess der bekannte polnis<strong>ch</strong>e Esperantist Roman Dobrzyński <strong>in</strong>s<br />

glei<strong>ch</strong>e Horn.<br />

34 Abs<strong>ch</strong>liessend zu diesen Text stand da ges<strong>ch</strong>rieben, dass au<strong>ch</strong> die <strong>Esperanto</strong>freunde „erkennen“ müssten, „dass die<br />

Volkskunst e<strong>in</strong> Quell e<strong>ch</strong>ter Lebensfreude“ sei „und dass sie als s<strong>in</strong>nvoll gestaltete Freizeit e<strong>in</strong>en hohen<br />

persönli<strong>ch</strong>keitsbildenden Wert“ habe.<br />

35 Dies ist gebührend hervorzuheben, denn zu dieser Zeit gebärdete Ulbri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> als grotesker DDR-Alle<strong>in</strong>herrs<strong>ch</strong>er und trat<br />

mit phantastis<strong>ch</strong>en ideologis<strong>ch</strong>en Verirrungen von der neuen „Sozialistis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>engeme<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>aft“ usw. <strong>in</strong> Ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ung,<br />

die er <strong>in</strong> der DDR-Verfassung verankert haben wollte. Die Propaganda vom „neuen Mens<strong>ch</strong>en“ hätte man den Esperantisten<br />

dur<strong>ch</strong>aus zutrauen können, aber die ZAKE-Verantwortli<strong>ch</strong>en verzi<strong>ch</strong>teten allerd<strong>in</strong>gs zum Glück auf die Reproduktion<br />

weltfremder Fiktionen aus der eigenen SED-Kü<strong>ch</strong>e. Glei<strong>ch</strong>zeitig wurden <strong>in</strong> der esperantist aber au<strong>ch</strong> die s<strong>ch</strong>weren<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftsprobleme vers<strong>ch</strong>wiegen, unter denen die DDR litt und die Ulbri<strong>ch</strong>t 1967 offen angespro<strong>ch</strong>en hatte und mit se<strong>in</strong>em<br />

eigens für die DDR kreierten NÖSPL-Programm überw<strong>in</strong>den wollte, denn s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> wollte aus der DDR e<strong>in</strong> sozialistis<strong>ch</strong>er<br />

Musterstaat fabriziert werden (was Bres<strong>ch</strong>new <strong>ganz</strong> und gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> passte). So mussten etwa 1969 für mehrere hundert<br />

Millionen harter Valuta Nahrungsmittel aus dem Westen importiert werden, und no<strong>ch</strong> tragis<strong>ch</strong>er wog der Umstand, dass aus<br />

Bres<strong>ch</strong>news Sowjetunion, der nur Spott für die kle<strong>in</strong>e vorlaute DDR mit ihrem grössenwahns<strong>in</strong>nigen Diktatör<strong>ch</strong>en übrig<br />

hatte hielt, war ke<strong>in</strong>e Wirts<strong>ch</strong>aftshilfe, zu erwarten. Um Rohstofflieferungen musste <strong>in</strong> Moskau ständig gebettelt werden. Im<br />

Gegenteil: Bres<strong>ch</strong>new erpresste die DDR bei jeder Gelegenheit und beutete sie aus was das Zeug hielt. Überhaupt mussten<br />

die SED-Politbüromitglieder unter Bres<strong>ch</strong>new, der ke<strong>in</strong>e DDR-Alle<strong>in</strong>gänge etwa <strong>in</strong> der Deuts<strong>ch</strong>landfrage duldete, si<strong>ch</strong> wie<br />

Marionetten und Statisten vorgekommen se<strong>in</strong>. Honecker nutzte diese Situation 1969-71 ges<strong>ch</strong>ickt aus, um si<strong>ch</strong> Ulbri<strong>ch</strong>ts zu<br />

entledigen, um si<strong>ch</strong> selbst an die oberste Ma<strong>ch</strong>tposition <strong>in</strong> der DDR hieven zu können.<br />

36 M.W. gibt es <strong>in</strong> den S<strong>ch</strong>riften und Reden L.L. Zamenhofs ke<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis darauf, wo er si<strong>ch</strong> über e<strong>in</strong>en souveränen<br />

polnis<strong>ch</strong>en Staat geäussert hätte. Das Konzept e<strong>in</strong>es polnis<strong>ch</strong>en (oder russis<strong>ch</strong>en oder jüdis<strong>ch</strong>en) Nationalstaats s<strong>ch</strong>ien bei<br />

ihm nämli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur ausserhalb se<strong>in</strong>er Vorstellungskraft gewesen zu se<strong>in</strong>, sondern er lehnte Nationalstaaten grundsätzli<strong>ch</strong><br />

ab, die politis<strong>ch</strong> nur vor e<strong>in</strong>er Ethnie beherrs<strong>ch</strong>t werden. In se<strong>in</strong>em Hillelismus/Homaranismus von 1906 stellte si<strong>ch</strong><br />

Zamenhof e<strong>in</strong> „Wars<strong>ch</strong>auer Land“, e<strong>in</strong> „Petersburger Rei<strong>ch</strong>“ und e<strong>in</strong> „Pariser Rei<strong>ch</strong>“ vor, <strong>in</strong> dem alle mitwohnenden<br />

Völkers<strong>ch</strong>afen friedli<strong>ch</strong> mit- und nebene<strong>in</strong>ander zusammenleben könnten, ohne von e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Ethnie <strong>ch</strong>auv<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong><br />

dom<strong>in</strong>iert zu werden. Gefallen fand er vor allem an neutralen Staaten wie der S<strong>ch</strong>weiz, Belgien, Kolumbien, Peru usw. Diese<br />

Ideen wurden <strong>in</strong> der esperantist nie vorgestellt.<br />

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