Der Wahrheit nicht ganz verpflichtet Esperanto in ... - Plansprachen.ch

Ulbricht wurde mit keinem Wort gewürdigt. 53 Im Leitartikel der Mai-Juni-Nummer 1971 zeigten sich
die ZAKE-Funktionäre „stark beeindruckt“ vom XXIV. Parteitag der KPdSU und des VIII. Parteitages
der SED und riefen die Esperantisten der DDR auf, die Unterlagen des SED-Parteitags zu studieren,
um seine „wichtigen Beschlüsse“ zu verstehen. Ein neues Thema waren die „Fragen der europäischen
Sicherheit“, die in Hinblick auf den seit 1966 laufenden und in den 70er Jahren verstärkten KSZE-
Prozess, auch Helsinki-Prozess genannt, an dem die DDR aktiv teilnahm, immer bedeutsamer wurden.
Selbst die aggressive antiwestliche MEM-Esperanto-Friedensbewegung klinkte sich in diesen Prozess
ein und betonte in einer in London verabschiedeten Resolution die Bedeutung gleichberechtigter
Beziehungen zwischen allen europäischen Staaten und die Intensivierung der Zusammenarbeit
zwischen ihnen. Weil die DDR von Grossbritannien diplomatisch nicht anerkannt war, gab es
Probleme mit den DDR-Reisepässen. Da das Visum als ‚Ersatzpapier’ ausgehändigt wurde, wurde ein
DDR-Bürger in England wie ein Staatenloser behandelt. Dies sei „ohne Zweifel eine Diskriminierung“
der DDR, befand der Berichterstatter D. Blanke, der mit Rudi Graetz zusammen die DDR-Delegation
bildete. Für diese Misere wurden die schlechten „innerdeutschen Beziehungen“ bemüht. Am Kongress
selbst habe Handelsrat Graetz „einen vielbeachteten Beitrag geleistet, in dem er forderte, dass die
UEA gegen Völkermord, Rassismus, Militarismus und für die Sicherung des Weltfriedens Position
beziehen möge.“ Dies war wegen der politischen Neutralität der UEA aber nicht möglich. Auch das
neue Viermächteabkommen über Westberlin, „das besonders durch die Initiative der SU zustande
gekommen“ war, wurde in der esperantist gewürdigt.
Immerhin wurde auch erkannt, dass „wir in unserer Arbeit stets davon ausgehen müssen, dass
in den Gruppen des DKB Bürger mit verschiedenen Weltanschauungen und politischen Auffassungen
zusammen wirken“. Dies erfordere „eine kluge und sehr differenzierte Arbeit mit den Menschen, die
in der ideologischen Arbeit genauer berücksichtigt werden muss. Wir wollen jeden gewinnen und
keinen zurücklassen“, hiess es. Bei der „inneroganisatorischen Demokratie“ gehe „es nicht um Fragen
einer formalen, sondern der sozialistischen Demokratie“.
Wichtigstes Ereignis des Jahres 1972 war die Zentrale Konferenz der Esperantisten der DDR
Ende Mai in Berlin, an der 200 Delegierte teilnahmen. Hauptaufgaben der Konferenz waren: 1. Die
Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED schöpferisch für die Tätigkeit der Esperantisten
auszuwerten; 2. Auf dieser Grundlage neue Leitsätze für die Arbeit der Esperantisten der DDR zu
diskutieren und zu beschliessen; 3. Die Mitglieder des neuen Zentralen Arbeitskreises Esperanto der
DDR im DKB zu wählen.
Als Vertreter des Präsidiums des DKB nahmen an der Konferenz der Vizepräsident der
Organisation, Prof. Dr. Gerhard-Rudolf Meyer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin,
Mitglied der Volkskammer, sowie die Bundessekretäre Bernd Lohaus und Alex Ständel teil. 54
In seinem Bericht verkündete D. Blanke, dass „Sektierertum und kosmopolitisches Ideengut,
wie es in der internationale Esperanto-Bewegung bisweilen auftritt, in der DDR weitgehend
überwunden werden konnte.“ 55
Rudi Graetz hielt ein längeres Hauptreferat, das in der esperantist „geringfügig gekürzt“
abgedruckt wurde. An dieser Stelle folgen einige Auszüge:
„Wenn wir die Frage nach dem Platz des Esperanto und dessen Perspektive in unserer
sozialistischen Gesellschaft stellen wollen, sind der Ausgangspunkt dafür selbstverständlich die vom
VIII. Parteitag der SED beratenen und beschlossenen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben und
Entwicklungslinien, insbesondere die Hauptaufgabe, die in der weiteren Erhöhung des materiellen und
kulturellen Lebensniveaus unseres Volkes in der Deutschen Demokratischen Republik besteht.
So wie die Funktion einer jeden geistig-kulturellen und politisch-ideologischen Aktivität
bestimmt wird durch die konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen diese Aktivitäten
53 Die Biographie E. Honeckers ist allgemein bekannt, ich gehe darauf nicht ein und verweise erneut auf die Fachliteratur.
M.W. erschien in der DDR und auch sonst keine Biographie von Ulbricht oder Honecker auf Esperanto.
54 Der offizielle Bericht darüber ist in der esperantist 54/1972 nachzulesen.
55 Solche tschekistische Diktionen erinnern stark an stalinistische Zeiten! Nur noch ein Esperanto-Schauprozess hätte dabei
gefehlt! Bekanntlich wurde der Kosmopolitismus in der Stalinzeit verdammt, d.h. mit einer Kampagne vom Januar 1948
gegen eine „antipatriotische Gruppe von Theaterkritikern“, konkret gegen das jiddische Theater und gegen das Jüdische
Antifaschistische Komitee, bekämpft, hatte also eine antijüdische Komponente. (s. Luks, L. und O’Sullivan, D.: Der
Spätstalinismus und die ‚jüdische Frage’. Köln 1998, v.a. den Beitrag von E. Goldstücker: Der stalinistische Antisemitismus
- ein Erlebnisbericht).
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