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Der Wahrheit nicht ganz verpflichtet Esperanto in ... - Plansprachen.ch

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Gesetzmässigkeiten <strong>in</strong>tuitiv erkannt hatte“. Diese Aussage s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>t übertrieben und muss als Spekulation betra<strong>ch</strong>tet werden.<br />

Ausser e<strong>in</strong>er Grammatik des Jiddis<strong>ch</strong>en und des <strong>Esperanto</strong>, <strong>in</strong> der der Augenarzt Zamenhof bewies, dass er vom Wesen der<br />

Spra<strong>ch</strong>e etwas verstand, hat er ke<strong>in</strong>e wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en l<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>en Theorien vorgelegt, die die obige Aussage<br />

re<strong>ch</strong>tfertigen würde.<br />

140 Dieses Bu<strong>ch</strong> wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Rezension des S<strong>ch</strong>weizer Interl<strong>in</strong>guisten Tazio Carlevaro, der damals offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> selbst<br />

vom Marxismus angezogen wurde (s. se<strong>in</strong>en Beitrag im Kapitel über Zamenhof <strong>in</strong> ‚<strong>Esperanto</strong> en perspektivo’, 1974), <strong>in</strong> der<br />

Zeits<strong>ch</strong>rift Planl<strong>in</strong>gvistiko wohl etwas vors<strong>ch</strong>nell als „Informationsgrube auf wahrli<strong>ch</strong> hohem Niveau und wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />

ausgewogen ges<strong>ch</strong>rieben, vorurteilslos und unpolemis<strong>ch</strong>“, überbewertet (die Rezension wurde prompt <strong>in</strong> der esperantist<br />

na<strong>ch</strong>gedruckt). Bei der nü<strong>ch</strong>ternen (und v.a. <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>marxistis<strong>ch</strong>en) Betra<strong>ch</strong>tung des Bu<strong>ch</strong>es lassen si<strong>ch</strong> erwartungsgemäss<br />

denno<strong>ch</strong> sehr wohl e<strong>in</strong>ige kritis<strong>ch</strong>e Bemerkungen und E<strong>in</strong>wände anbr<strong>in</strong>gen, und zwar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erst aus heutiger Si<strong>ch</strong>t. Das Bu<strong>ch</strong><br />

weist nämli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> nur <strong>in</strong> Bezug auf die ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong>e Grundhaltung e<strong>in</strong> paar Besonderheiten auf, die Carlevaro <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Bespre<strong>ch</strong>ung ausser A<strong>ch</strong>t liess. Es wäre jedo<strong>ch</strong> verfehlt anzunehmen, bei Blankes Habilitation handle es si<strong>ch</strong> um e<strong>in</strong><br />

Loblied auf den Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus. Freili<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> um e<strong>in</strong>s gegen ihn. Im Unters<strong>ch</strong>ied zum extremen<br />

politis<strong>ch</strong>en Konformismus, den D. Blanke als Redaktor von der esperantist an den Tag legte, kam er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em im Akademie-<br />

Verlag veröffentli<strong>ch</strong>ten Interl<strong>in</strong>guistik-Bu<strong>ch</strong> paradoxerweise nämli<strong>ch</strong> weitgehend ohne Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus und ohne<br />

DDR-Propaganda aus, sieht man von e<strong>in</strong>igen bösen Stellen am Anfang und am Ende des Bu<strong>ch</strong>es ab (wo z.B. von der<br />

„Aggressivität des Imperialismus“ die Rede ist – dieser obligate Ausfall war wohl als Formalität für die Zensur bestimmt).<br />

Denno<strong>ch</strong> ist die ‚materialistis<strong>ch</strong>e’ Geisteshaltung des Autors, von dem Blankes Arbeit im Allgeme<strong>in</strong>en dur<strong>ch</strong>drungen ist,<br />

au<strong>ch</strong> <strong>in</strong> dieser Habilitationss<strong>ch</strong>rift natürli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> zu übersehen oder gar zu verleugnen. Allerd<strong>in</strong>gs su<strong>ch</strong>t man <strong>in</strong> dem Bu<strong>ch</strong><br />

e<strong>in</strong>e marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e Konzeption der Interl<strong>in</strong>guistik vergebli<strong>ch</strong>. Dies ist do<strong>ch</strong> ziemli<strong>ch</strong> erstaunli<strong>ch</strong>, handelt es si<strong>ch</strong><br />

do<strong>ch</strong> um e<strong>in</strong>en DDR-Autor, der bei anderen Gelegenheiten nie müde wurde, erstens die Bedeutung der Lehren des<br />

Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus zu betonen und zweitens sowohl e<strong>in</strong>e marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e Theorie der Interl<strong>in</strong>guistik wie au<strong>ch</strong><br />

die marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>e Aufarbeitung der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der <strong>Esperanto</strong>-Bewegung zu fordern. Typis<strong>ch</strong> für e<strong>in</strong><br />

wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Bu<strong>ch</strong>, das im Ostblock ers<strong>ch</strong>ien, war das Problem, dass gewisse Themen wie der Stal<strong>in</strong>ismus<br />

ausgeklammert wurden und so halt <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> aufgearbeitet werden konnten. So wurden etwa die Theorieansätze, wie sie <strong>in</strong> den<br />

20er und 30er Jahren von E.K. Drezen und anderen <strong>in</strong> der Sowjetunion vertreten wurden, nur gestreift, obwohl sie für die<br />

damalige sowjetis<strong>ch</strong>e Interl<strong>in</strong>guistik von zentraler Bedeutung gewesen waren. Vom Beitrag N. Ja. Marrs zur Diskussion über<br />

die Zukunft der Spra<strong>ch</strong>en im Allgeme<strong>in</strong>en und die Entwicklung der künftigen Welt(e<strong>in</strong>heits)spra<strong>ch</strong>e im Kommunismus im<br />

Besonderen erfährt der Leser fast gar <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>s, ebenso wenig von der diesbezügli<strong>ch</strong>en E<strong>in</strong>mis<strong>ch</strong>ung Stal<strong>in</strong>s <strong>in</strong> die<br />

spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Debatte des Jahres 1950. Nun ist es dur<strong>ch</strong>aus mögli<strong>ch</strong>, dass Blanke neben dem Umstand, dass es <strong>in</strong><br />

der DDR damals <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> opportun gewesen war, Drezen, Marr und Stal<strong>in</strong> als Autoren für (spra<strong>ch</strong>)wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Zwecke<br />

aufzuwärmen, diese absonderli<strong>ch</strong>en Themen für den modernen <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>diskurs au<strong>ch</strong> für <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> mehr sehr bea<strong>ch</strong>tenswert<br />

hielt, zumal sie pseudowissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e und utopistis<strong>ch</strong>e Züge erkennen liessen und mehr oder weniger dem Müllhaufen der<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der L<strong>in</strong>guistik anvertraut werden durften. Denno<strong>ch</strong> fiel der Name Stal<strong>in</strong>s <strong>in</strong> Blankes Bu<strong>ch</strong> an mehreren Stellen<br />

explizit. Aber etwa der H<strong>in</strong>weis Trotzkis, dass Stal<strong>in</strong> um 1910 <strong>Esperanto</strong> gelernt haben soll, wurde <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> erwähnt. Ni<strong>ch</strong>t<br />

zuletzt fällt auf, dass Blanke den „soziol<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>en“ Arbeiten M.I. Isaevs aus den 70er und 80er Jahren <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong><br />

ebenfalls nur e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Aufmerksamkeit s<strong>ch</strong>enkte. Mag se<strong>in</strong>, dass er all diese ziemli<strong>ch</strong> deformierten Theorien aus der SU<br />

zur Propaganda des Russis<strong>ch</strong>en als „mežnacional’nyj jazyk“ für die <strong>in</strong>terl<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>e Diskussion (<strong>in</strong> der DDR) für irrelevant<br />

hielt. Was die Leistungen der sowjetis<strong>ch</strong>en Interl<strong>in</strong>guisten und Soziol<strong>in</strong>guisten anbelangt, wurde hö<strong>ch</strong>stens no<strong>ch</strong> auf die<br />

Beiträge im Berei<strong>ch</strong> der Spra<strong>ch</strong>planung, Spra<strong>ch</strong>förderung und Spra<strong>ch</strong>politik, auf die Theorie von der Glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigung der<br />

Völker und auf die Anerkennung der Spra<strong>ch</strong>e als gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>ung als Teil der marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>soziologie h<strong>in</strong>gewiesen, ohne diese Theorien jedo<strong>ch</strong> im E<strong>in</strong>zelnen no<strong>ch</strong> e<strong>in</strong>mal ausführli<strong>ch</strong> darzustellen oder kritis<strong>ch</strong><br />

zu bespre<strong>ch</strong>en. Irgendwo ist no<strong>ch</strong> von den zonalen Spra<strong>ch</strong>en, die Stal<strong>in</strong> vors<strong>ch</strong>webten, die Rede. Charakteristis<strong>ch</strong> war au<strong>ch</strong><br />

die Art und Weise der Behandlung des Englis<strong>ch</strong>en, die von Blanke an mehreren Stellen s<strong>ch</strong>lagwortartig zwar kurz<br />

vorgenommen wurde; als Weltspra<strong>ch</strong>e erfuhr das Englis<strong>ch</strong>e aber ke<strong>in</strong>e eigentli<strong>ch</strong>e Würdigung, obwohl es do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> zu<br />

DDR-Zeiten s<strong>ch</strong>on längst den Status e<strong>in</strong>er Weltspra<strong>ch</strong>e erlangt hatte und im Ostblock flä<strong>ch</strong>endeckend gelehrt und verwendet<br />

wurde. Dabei ist eigenartig, dass Blanke etwa im Kapitel über die L<strong>in</strong>gua franca weder das Englis<strong>ch</strong>e (ausser Pidg<strong>in</strong>-English)<br />

no<strong>ch</strong> das Russis<strong>ch</strong>e erwähnt, h<strong>in</strong>gegen aber das Französis<strong>ch</strong>e, Arabis<strong>ch</strong>e und Ch<strong>in</strong>esis<strong>ch</strong>e als sol<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>en anführte.<br />

Ausgere<strong>ch</strong>net an dieser Stelle ers<strong>ch</strong>ien e<strong>in</strong> englis<strong>ch</strong>es UNESCO-Zitat aus dem Jahr 1953, das die L<strong>in</strong>gua franca def<strong>in</strong>ieren<br />

soll. Unter Bezugnahme auf e<strong>in</strong>en gewissen Avram Karl<strong>in</strong>skij wurde an anderer Stelle behauptet, das Englis<strong>ch</strong>e, das von ihm<br />

als „Mikroverkehrsspra<strong>ch</strong>e“ bezei<strong>ch</strong>net wurde, habe „mit den Veränderungen der sozialpolitis<strong>ch</strong>en Situation“ se<strong>in</strong>e<br />

„gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Funktion (...) <strong>in</strong> der kapitalistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft“ „<strong>in</strong> vielen Staaten Asiens und Afrikas“ aber „verloren“.<br />

Den Status e<strong>in</strong>er „Makroverkehrsspra<strong>ch</strong>e“ hatte gemäss Karl<strong>in</strong>skij h<strong>in</strong>gegen das Russis<strong>ch</strong>e <strong>in</strong>ne. Sol<strong>ch</strong>e Ansätze waren<br />

freili<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> weniger uns<strong>in</strong>nig als gewisse e<strong>in</strong>s<strong>ch</strong>lägige Theoreme Marrs und Stal<strong>in</strong>s und dienten ledigli<strong>ch</strong> zur politis<strong>ch</strong>en<br />

Bekämpfung des Englis<strong>ch</strong>en als Weltspra<strong>ch</strong>e dur<strong>ch</strong> die Kommunisten des Ostblocks. Es ist hö<strong>ch</strong>st bedenli<strong>ch</strong> und<br />

bedauerli<strong>ch</strong>, dass e<strong>in</strong> L<strong>in</strong>guist wie Blanke, der ernstgenommen zu werden wüns<strong>ch</strong>te, diesem Ma<strong>in</strong>stream folgte, bzw. folgen<br />

musste. Im Allgeme<strong>in</strong>en zitierte Blanke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bu<strong>ch</strong> neben e<strong>in</strong>igen sowjetis<strong>ch</strong>en Autoren rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> westli<strong>ch</strong>e Quellen, die<br />

bei der <strong>in</strong>terl<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>en Diskussion <strong>in</strong> der Überzahl s<strong>in</strong>d; so konnte die westli<strong>ch</strong>e Vorherrs<strong>ch</strong>aft <strong>in</strong> der<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>diszipl<strong>in</strong> mit oder ohne Absi<strong>ch</strong>t, bewusst oder unbewusst na<strong>ch</strong>gewiesen werden. Wenn e<strong>in</strong>erseits die Sa<strong>ch</strong>kritik<br />

an sowjetis<strong>ch</strong>en Autoren fehlte, fiel andererseits die ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong> motivierte Polemik gegen gewisse Westautoren<br />

entspre<strong>ch</strong>end kompromisslos aus. Auf theoretis<strong>ch</strong>er Ebene wurde etwa gegen den Strukturalismus, gegen die Sapir-Whorf-<br />

Hypothese (und damit au<strong>ch</strong> gegen Gode und gegen se<strong>in</strong> Interl<strong>in</strong>gua) und vor allem gegen den pazifistis<strong>ch</strong>en Mystizismus<br />

(v.a. die ‚<strong>in</strong>terna ideo’) L.L. Zamenhofs gepoltert. Dessen „progressives bürgerli<strong>ch</strong>-humanistis<strong>ch</strong>es Ideengut“ sei<br />

„marxistis<strong>ch</strong>-len<strong>in</strong>istis<strong>ch</strong> aufzubereiten“, hiess es im entspre<strong>ch</strong>enden Kapitel über den Begründer des <strong>Esperanto</strong>. Ke<strong>in</strong>e<br />

Gnade fanden bei überzeugten Atheisten, Marxisten und Materialisten natürli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die „religiös verbrämten pazifistis<strong>ch</strong>kosmopolitis<strong>ch</strong>en<br />

Ideale“ e<strong>in</strong>es erzkatholis<strong>ch</strong>en Ekklesiasten, wie sie der Volapük-Erf<strong>in</strong>der J.M. S<strong>ch</strong>leyer vertrat. Das Werk<br />

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