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Der Wahrheit nicht ganz verpflichtet Esperanto in ... - Plansprachen.ch

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1985 fand das 7. Interl<strong>in</strong>guistik-Sem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Ahrenshoop mit folgenden Referenten und<br />

Referaten statt: Prof Dr. Georg F. Meier (Aspekte der Spra<strong>ch</strong>politik), Dr. sc. Detlev Blanke<br />

(Interl<strong>in</strong>guistik und Spra<strong>ch</strong>planung), Prof. Dr. sc. Johannes Irms<strong>ch</strong>er (Berl<strong>in</strong>, Rolle des Late<strong>in</strong>s als<br />

<strong>in</strong>ternationales Verständigungsmittel), D. Blanke (Grundfragen der Interl<strong>in</strong>guistik und<br />

des Revaler Occidental-S<strong>ch</strong>öpfers Edgar von Wahl, als estländis<strong>ch</strong>er Baltendeuts<strong>ch</strong>er wahrli<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong> Freund von Marx,<br />

Engels, Len<strong>in</strong> und Stal<strong>in</strong>, wurde sogar als ges<strong>ch</strong>eiterter antikommunistis<strong>ch</strong>er Entwurf diffamiert, und A. Godes Interl<strong>in</strong>gua<br />

wurde als „paradoxes Produkt der Interl<strong>in</strong>guistik“ (was es dur<strong>ch</strong>aus au<strong>ch</strong> gewesen se<strong>in</strong> mag) verabs<strong>ch</strong>eut. Godes e<strong>in</strong>ziges<br />

Verdienst habe dar<strong>in</strong> bestanden, als erster den Versu<strong>ch</strong> unternommen zu haben, bewusst und auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> das ges<strong>ch</strong>lossene<br />

System der abendländis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e zu kodifizieren (Zitat von Gode), während von Wahl e<strong>in</strong>e praktis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e ers<strong>ch</strong>affen<br />

wollte, die allen Mens<strong>ch</strong>en romanis<strong>ch</strong>er Zunge allgeme<strong>in</strong> verständli<strong>ch</strong> se<strong>in</strong> sollte. Die Haltung, bei der e<strong>in</strong> Gode und e<strong>in</strong> von<br />

Wahl an die Überlegenheit der westli<strong>ch</strong>en Kultur und ihrer Spra<strong>ch</strong>en glaubte, musste bei den dogmatis<strong>ch</strong>en<br />

Ostblockkommunisten natürli<strong>ch</strong> auf Skepsis stossen. Gerade deshalb war die Spra<strong>ch</strong>e Occidental auf östli<strong>ch</strong>en Druck h<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

Interl<strong>in</strong>gue umbenannt worden. Die Bemühung der Kommunisten, L.L. Zamenhof <strong>in</strong> die Nähe der Proletarier (Arbeiter),<br />

Sozialisten usw. rücken zu wollen, musste aber von vornhere<strong>in</strong> klägli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eitern, denn sie ist abwegig und kommt e<strong>in</strong>er<br />

marxistis<strong>ch</strong>en Vergewaltigung der eigentli<strong>ch</strong>en Ideen Zamenhofs selbst glei<strong>ch</strong>. Mag se<strong>in</strong>, dass Zamenhof als Quartiersarzt<br />

unter se<strong>in</strong>en Patienten und Kunden <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> wenige Arbeiter vorgefunden hatte, er selbst äusserte si<strong>ch</strong> aber nie im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es<br />

Proletariers und liess au<strong>ch</strong> ke<strong>in</strong>e Tendenz erkennen, si<strong>ch</strong> für e<strong>in</strong>en Marxisten, Sozialisten oder gar Kommunisten zu halten.<br />

<strong>Der</strong> E<strong>in</strong>wand der Marxisten oder Kommunisten, Zamenhof sei „<strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> <strong>in</strong> der Lage gewesen, die wirkli<strong>ch</strong>en gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Triebkräfte zu erkennen, die h<strong>in</strong>ter den s<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>bar nur <strong>in</strong>terethnis<strong>ch</strong>en Konflikten standen“, ist e<strong>in</strong>e unbegründete ideologis<strong>ch</strong>e<br />

Spekulation, die von Leuten vom S<strong>ch</strong>lage e<strong>in</strong>es Drezen, Spiridovič usw. <strong>in</strong> die Welt gesetzt und <strong>in</strong> der DDR von<br />

e<strong>in</strong>gebildeten Marxisten wie Rudi Graetz und Detlev Blanke übernommen und weiter propagiert wurde. Statt diesen<br />

marxistis<strong>ch</strong> verbrämten Uns<strong>in</strong>n zu reproduzieren, wäre es angemessener gewesen, den jüdis<strong>ch</strong>-zionistis<strong>ch</strong>en H<strong>in</strong>tergrund<br />

Zamenhofs stärker auszuleu<strong>ch</strong>ten. Aber jüdis<strong>ch</strong>e Themen zu analysieren gehörte aus bekannten Gründen nun wahrli<strong>ch</strong> <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong><br />

zum vordergründigen Repertoire von angepassten Ostblock-Autoren, die si<strong>ch</strong> im Allgeme<strong>in</strong>en vor jüdis<strong>ch</strong>en Themen<br />

s<strong>ch</strong>euten wie der Teufel vor dem Weihwasser. Salonfähig gema<strong>ch</strong>t werden konnten h<strong>in</strong>gegen wieder <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong>marxistis<strong>ch</strong>e<br />

L<strong>in</strong>guistik-Klassiker wie die Brüder Ferd<strong>in</strong>and und René de Saussure, Baudou<strong>in</strong> de Courtenay und der amerikanis<strong>ch</strong>e<br />

Strukturalist Edward Sapir, alle längst gestorben, <strong>in</strong> Vergessenheit geraten und <strong>in</strong> der Sowjetunion lange mehr oder weniger<br />

geä<strong>ch</strong>tet. Irgendwo tau<strong>ch</strong>t im Rande des Bu<strong>ch</strong>s – man sehe und staune – sogar no<strong>ch</strong> Polivanovs Name auf. Im Berei<strong>ch</strong> der<br />

mediokren politis<strong>ch</strong>en Abre<strong>ch</strong>nung mit westdeuts<strong>ch</strong>en Kollegen g<strong>in</strong>g Blanke re<strong>ch</strong>t unzimperli<strong>ch</strong> etwa mit dem renommierten<br />

Kybernetiker Helmar Frank (Paderborn) oder mit Oberstudienrat Re<strong>in</strong>hard Haupenthal (Saarbrücken), e<strong>in</strong>em qualifizierten<br />

<strong>Esperanto</strong>logen, um, der es gewagt hatte, die neu ers<strong>ch</strong>ienenen DDR-<strong>Esperanto</strong>-Wörterbü<strong>ch</strong>er von E.-D. Krause regelmässig<br />

zu zerzausen. Krause war e<strong>in</strong> DDR-Indonesist gewesen, der si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit <strong>Esperanto</strong>logie bes<strong>ch</strong>äftigte. E<strong>in</strong> drittes zentrales<br />

Fe<strong>in</strong>dbild wurde mit der Person des ehrbaren Ri<strong>ch</strong>ard S<strong>ch</strong>ulz aus M<strong>in</strong>den aufgebaut, gegen dessen populärwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Esperanto</strong>-Bü<strong>ch</strong>er herzhafte Angriffe gestartet wurden. Im Übrigen wurde au<strong>ch</strong> der bekannte Moskauer Interl<strong>in</strong>guist S.N.<br />

Kuznecov, der dur<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>e unideologis<strong>ch</strong>e Haltung auffiel, von den Dogmatikern und ihren Lakaien <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> davon vers<strong>ch</strong>ont,<br />

als Strukturalist im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er pejorativen Eigens<strong>ch</strong>aft verdä<strong>ch</strong>tigt zu werden. Natürli<strong>ch</strong> erfolgte die Auswahl der Zitate<br />

dur<strong>ch</strong> Blanke im Allgeme<strong>in</strong>en selektiv, um ideologis<strong>ch</strong>e Risiken auszus<strong>ch</strong>alten. So bestand des öftern die Gefahr, dass Zitate<br />

aus dem Gesamtkontext herausgerissen und zu wenig reflektiert wurden. So gesehen blieb diese realsosozialistis<strong>ch</strong>e<br />

Darstellung Blankes, die für DDR-Verhältnisse wohl als e<strong>in</strong>e sehr stil- und niveauvolle akademis<strong>ch</strong>e Fru<strong>ch</strong>t e<strong>in</strong>es Autors<br />

vertrieben werden konnte, der es sogar ges<strong>ch</strong>afft hatte, au<strong>ch</strong> im Berei<strong>ch</strong> der Interl<strong>in</strong>guistik e<strong>in</strong> wenig Klassenkampf und<br />

Kalten Krieg zu spielen, denno<strong>ch</strong> hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> deskriptiv, streckenweise oberflä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, unvollständig und langweilig,<br />

<strong>in</strong>tellektuell öde und für e<strong>in</strong>e Habilitation e<strong>in</strong>er Universität, die den Namen Humboldts trug, ideologis<strong>ch</strong>-politis<strong>ch</strong><br />

ers<strong>ch</strong>reckend kurzsi<strong>ch</strong>tig. Es drängten si<strong>ch</strong> somit Zweifel an der (strengen) Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit von Blankes Arbeit auf,<br />

zumal das Bu<strong>ch</strong> ja au<strong>ch</strong> das Werk e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>zelgängers ist, der se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terl<strong>in</strong>guistis<strong>ch</strong>en Studien ausserhalb des akademis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftsbetriebs der DDR getätigt hat und von den <strong>in</strong>ternationalen spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en und<br />

spra<strong>ch</strong>philosophis<strong>ch</strong>en E<strong>in</strong>flüssen praktis<strong>ch</strong> unberührt und isoliert blieb. Von unkritis<strong>ch</strong>en Blanke-„S<strong>ch</strong>ülern“ wie<br />

Bros<strong>ch</strong>/Fiedler (letztere ist immerh<strong>in</strong> Professor<strong>in</strong> <strong>in</strong> Leipzig) wurde das Bu<strong>ch</strong> quasi wie e<strong>in</strong>e Bibel verklärt, wenn es etwa <strong>in</strong><br />

der E<strong>in</strong>führung zur Fests<strong>ch</strong>rift zum 70. Geburtstag von D. Blanke hiess: „(...) Superlative s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Festgaben dieser Art häufig.<br />

Sie s<strong>in</strong>d im vorliegenden Fall jedo<strong>ch</strong> <strong>ganz</strong> si<strong>ch</strong>er gere<strong>ch</strong>tfertigt. Es ist ke<strong>in</strong>e Übertreibung, den Jubilar als den bedeutendsten<br />

Vertreter der Interl<strong>in</strong>guistik/<strong>Esperanto</strong>logie im deuts<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>igen Raum und e<strong>in</strong>en der weltweit führenden Interl<strong>in</strong>guisten zu<br />

bezei<strong>ch</strong>nen. Se<strong>in</strong> 1985 ers<strong>ch</strong>ienenes Bu<strong>ch</strong> Internationale <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung ist bis heute das Standardwerk der<br />

Interl<strong>in</strong>guistik. Die dar<strong>in</strong> zu f<strong>in</strong>dende systematis<strong>ch</strong>e Klassifikation na<strong>ch</strong> ihrer Anwendung ist unverzi<strong>ch</strong>tbare Grundlage für<br />

Studien auf diesem Gebiet. Seit dem Ers<strong>ch</strong>e<strong>in</strong>en dieses wegweisenden Werkes ist, wie se<strong>in</strong>e bee<strong>in</strong>druckende Publikationsliste<br />

bezeugt, e<strong>in</strong>e Fülle weiterer herausragender Arbeiten aus se<strong>in</strong>er Feder entstanden. (...).“ Von C. Mannewitz wurde das Bu<strong>ch</strong><br />

sogar als „Bibel“ verklärt. Aus oben dargelegten Gründen ist e<strong>in</strong> Bu<strong>ch</strong> wie Blankes Internationale <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>. E<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> der vorhandenen Fassung wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> veraltet und kann den heutigen Studenten der Interl<strong>in</strong>guistik als<br />

Lehrbu<strong>ch</strong> nur unter Vorbehalten zugemutet werden. Dem Autor hatte i<strong>ch</strong> se<strong>in</strong>erzeit e<strong>in</strong>e fundamentale Überarbeitung<br />

e<strong>in</strong>zelner Kapitel empfohlen, um das Bu<strong>ch</strong> von ideologis<strong>ch</strong>em Ballast zu säubern. E<strong>in</strong>e revidierte Neuauflage ist nie<br />

ers<strong>ch</strong>ienen. Im Gegenteil: Man hat das Werk auf CD gebrannt, um es unverändert elektronis<strong>ch</strong> weiter zu vertreiben. Trotz des<br />

lauten Lärms um die Interl<strong>in</strong>guistik ist von ihr <strong>in</strong> der Angewandten L<strong>in</strong>guistik, der Soziol<strong>in</strong>guistik oder dem Strukturalismus<br />

so gut wie <strong>ni<strong>ch</strong>t</strong> die Rede. Vielmehr diente die Interl<strong>in</strong>guistik zur propagandistis<strong>ch</strong> missbrau<strong>ch</strong>ten theoretis<strong>ch</strong>en<br />

Re<strong>ch</strong>tfertigung der angebli<strong>ch</strong>en Superiorität des <strong>Esperanto</strong> gegenüber anderen <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> und Ethnospra<strong>ch</strong>en. Wenn man<br />

Detlev Blanke also als „<strong>in</strong>ternational führenden Interl<strong>in</strong>guisten“ feiert, sollte man die hier erwähnten Defizite und Na<strong>ch</strong>teile,<br />

die dieser <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>fors<strong>ch</strong>er aus der ehemaligen DDR verkörpert, unbed<strong>in</strong>gt mitberücksi<strong>ch</strong>tigen. Se<strong>in</strong>e<br />

‚wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en’ Beiträge s<strong>in</strong>d also nur mit Reserve zu konsultieren. aK<br />

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