Sonderausgabe: Dekontamination Verletzter (PDF, 2MB)
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Therapie bei Chemieunfällen<br />
Von Norbert Felgenhauer<br />
Rauchvergiftung<br />
Im Allgemeinen handelt es sich bei den Brandgasen<br />
um ein heterogenes Substanzgemisch, dessen<br />
Zusammensetzung von dem brennenden Material, von<br />
der Temperatur und von der Sauerstoffzufuhr abhängig<br />
ist. Bei normalen Bränden ist insbesondere<br />
mit den vier Leitstoffen Kohlenmonoxid, Blausäure,<br />
Chlorwasserstoff und Formaldehyd zu rechnen. Bei<br />
speziellen Brandereignissen können in Abhängigkeit<br />
vom brennenden Material noch weitere Reizgase wie<br />
z.B. Nitrose Gase, Schwefeldioxid, Acrolein, Phosgen,<br />
Ammoniak oder Fluorwasserstoff entstehen.<br />
Intoxikation mit Kohlenmonoxid<br />
Kohlenmonoxid (CO) entsteht hauptsächlich<br />
bei Verbrennungsprozessen unter ungenügender Sauerstoffzufuhr.<br />
Die wesentliche toxische Wirkung des<br />
CO beruht auf einer Bindung des CO an das 2-wertige<br />
Eisen des Hämoglobins, wobei das entstehende<br />
Kohlenmonoxid-Hämoglobin (COHb) für den Sauerstofftransport<br />
ausfällt. Eine Kohlenmonoxidkonzentration<br />
von 100 ppm (parts per million)= 0,01%<br />
führt zu einem COHb von ca.12%. Schwere akute<br />
Vergiftungen benötigen eine CO-Konzentration von<br />
> 2000 ppm. Schwere subakute Vergiftungen werden<br />
bei einer CO-Konzentration von 500 - 2000 ppm<br />
beobachtet.<br />
Die Vergiftungssymptome sind von der COHb-<br />
Konzentration abhängig. Bis zu einer COHb-Konzentration<br />
von 30% werden in der Regel nur Kopfschmerzen,<br />
Schwindel und Übelkeit beobachtet. Bei<br />
einer COHb-Konzentration zwischen 30 und 40%<br />
kommt es zusätzlich zu Müdigkeit und Verwirrtheitszuständen.<br />
Ab einer COHb-Konzentration von 40%<br />
wird der Patient bewusstlos und zunehmend kreislaufinstabil,<br />
über 60% muss mit dem raschen Tod<br />
durch Hypoxie gerechnet werden.<br />
Die therapeutischen Maßnahmen konzentrieren<br />
sich zunächst auf das Entfernen der Patienten<br />
aus dem toxischen Gefahrenbereich sowie auf die<br />
Antidot-Therapie mit Sauerstoff. Bei leichten Vergiftungen<br />
genügt die Insufflation von Sauerstoff über<br />
eine Nasensonde, bei schweren Vergiftungen ist eine<br />
endotracheale Intubation und Beatmung mit einem<br />
FiO2 von 1.0 notwendig. Durch die Beatmung mit<br />
100% Sauerstoff wird die Halbwertszeit für das<br />
COHb, die bei Raumluft normalerweise zwischen 3<br />
und 4 Stunden beträgt, auf 30 bis 40 Minuten verkürzt.<br />
In Ausnahmefällen besteht bei der schweren<br />
CO-Vergiftung auch die Möglichkeit einer hyperbaren<br />
Sauerstofftherapie, wodurch die Halbwertszeit<br />
für das COHb nochmals um die Hälfte auf 15 bis<br />
20 Minuten verkürzt und das Auftreten neuropsychologischer<br />
Spätschäden zumindest teilweise verhindert<br />
werden kann. Bei der Überwachung dieser<br />
Patienten ist zu berücksichtigen, dass man sich bei<br />
der CO-Vergiftung auf die Pulsoxymetrie nicht verlassen<br />
darf, da diese fälschlicherweise eine zu hohe<br />
periphere Sauerstoffsättigung anzeigt.<br />
Intoxikation mit Blausäure<br />
Im Rahmen von Brandereignissen kommt es<br />
insbesondere bei der Verbrennung und Verschwelung<br />
von stickstoffhaltigen Verbindungen zur Entwicklung<br />
von Blausäure (HCN). Bei jeder Verbrennung<br />
von Acrylfasern, polyacrylnitrilhaltigen Kunststoffen,<br />
Kunstharzen, Polyurethanschaum, Nylon, Seide,<br />
Wolle und Insektiziden muss immer mit einer<br />
toxisch relevanten HCN-Freisetzung gerechnet werden.<br />
Die HCN-Aufnahme erfolgt hierbei auf inhalatorischem<br />
Weg.<br />
Die klinischen Zeichen einer Cyanidintoxikation<br />
sind die Folge einer gestörten intrazellulären Sauerstoffutilisation<br />
durch das Cyanidion und damit<br />
Ausdruck einer zellulären Hypoxie. Nach der Einwirkung<br />
von Cyanverbindungen ist der Wirkungseintritt<br />
außerordentlich schnell. Bei Inhalation von Blausäure<br />
treten Symptome innerhalb von Sekunden auf,<br />
zum Tod kann es bereits innerhalb weniger Minuten<br />
kommen. Die potenziell letale Dosis von Blausäure<br />
liegt bei 100 ppm über einen Zeitraum von 1 Stunde.<br />
SONDERAUSGABE 2006 BEVÖLKERUNGSSCHUTZ<br />
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