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Martin Walsers doppelte Buchführung. Die Konstruktion und die ...

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ihren Endzweck gesetzt. 1 Damit wurde <strong>die</strong> Einbindung des Gewissens in <strong>Walsers</strong> bereits<br />

ausführlich erläuterte ästhetische Lebensphilosophie vollendet.) Am Beispiel Thomas Mann 2<br />

wird dann <strong>die</strong> Literatur zu der Form der authentischen Gewissenserforschung gemacht.<br />

Deshalb spricht Walser von seiner Unfähigkeit, „außer der literarischen Sprache noch eine [zu<br />

finden], <strong>die</strong> mir nichts verkaufen will“ (siehe oben in <strong>die</strong>sem Kapitel). Wenige Wochen vor<br />

der ´Paulskirchenrede´ sagte Walser in einem SZ-Interview:<br />

Für mich ist nirgends außerhalb der Literatur eine Qualität zu erhoffen. 3<br />

Auf <strong>die</strong>se Weise konnte Walser seinen Roman Ein springender Brunnen <strong>und</strong> ein „gerade<br />

erschienene[s] Buch“ 4 seiner Tochter Johanna kurz vor der Frankfurter Buchmesse ins<br />

Rampenlicht rücken. Auf seinen neuen Roman kommt er ja gleich am Anfang seiner Rede zu<br />

sprechen (siehe das Kapitel 1.1.2.). Wenn man stark pointieren möchte, könnte man <strong>die</strong> Rede<br />

auch als verkaufsfördernden Paratext zweier ´gerade erschienener´ Titel aus dem Hause<br />

Walser bezeichnen. 5 In einer Umfrage des Magazins Buchmarkt wurde <strong>Martin</strong> Walser denn<br />

auch „´wegen <strong>die</strong>ser [Walser-Bubis-]Debatte <strong>und</strong> ihrer Me<strong>die</strong>nwirkung´“ 6 zum „Autor des<br />

Jahres“ gewählt. Und obgleich der Roman Ein springender Brunnen bereits vor der<br />

Paulskirchenrede reißenden Absatz gef<strong>und</strong>en hatte, 7 dürfte er seine Wahl zur Nummer zwei<br />

unter den „Bücher[n] des Jahres“ 1998 8 <strong>und</strong> zur Nummer eins der „Weilheimer Bibliothek für<br />

junge Leser“ 9 auch der ´Paulskirchenrede´ verdanken.<br />

<strong>Die</strong> bisherigen Ausführungen haben vor Augen geführt, daß <strong>Martin</strong> Walser über ein<br />

geschlossenes Konzept des Gewissens verfügt. In der ´Paulskirchenrede´ <strong>und</strong> weiteren Reden<br />

<strong>und</strong> Essays mag es ihm auch weitestgehend gelingen, <strong>die</strong>ses Konzept wirksam<br />

rüberzubringen. Aber es gibt trotzdem einige Stellen, an denen <strong>die</strong> Performanz <strong>die</strong>ser Texte<br />

sich von der Autorintention löst, das vertretene Gewissenskonzept als das einzig angemessene<br />

zu präsentieren. Marcel Reich-Ranicki hat über <strong>Walsers</strong> Werk einmal bemerkt, es liefere<br />

1 „Wir brauchen eine neue Sprache für <strong>die</strong> Erinnerung. Das Treffen von Ignatz Bubis <strong>und</strong> <strong>Martin</strong> Walser: Vom<br />

Wegschauen als lebensrettender Maßnahme, von der Befreiung des Gewissens <strong>und</strong> den Rechten der Literatur“,<br />

in: FAZ, 14. 12. 1998, S. 39 – 41.<br />

2 Walser, „<strong>Die</strong> Banalität des Guten“, S. 23.<br />

3 Winkler, o. c.<br />

4 Walser, „<strong>Die</strong> Banalität des Guten“, S. 21 <strong>und</strong> 25. Gemeint ist Johanna <strong>Walsers</strong> Versuch, da zu sein. Prosa,<br />

Frankfurt am Main: Fischer, 1998.<br />

5 Einen marktgerechten Einsatz der Paratexte bescheinigt Walser Alexander Rost, „Walserischer Lebensanlauf“,<br />

in: <strong>Die</strong> Welt am Sonntag 30/1998, S. 24: „Der Name macht´s. Über den Titel gesetzt, in doppelt größeren<br />

Lettern, signalisiert er <strong>die</strong> Gewichtigkeit des Autors, <strong>die</strong> jegliche Buchüberschrift zur Bagatelle degra<strong>die</strong>rt […]“<br />

6 [Meldung:] „Springender Brunnen. <strong>Martin</strong> Walser ist ´Autor des Jahres´“, in: FAZ, 1. 2. 1999, S. 46;<br />

[Meldung:] „Unterm Strich“, in: <strong>Die</strong> Tageszeitung (weiter nur: TAZ), 1. 2. 1999, S. 15; [Meldung:] „Mann des<br />

Jahres. Buchhändler wählen <strong>Martin</strong> Walser“, in: SZ, 1. 2. 1999, S. 13.<br />

7 [Meldung:] „Aufsteigt der Strahl. <strong>Die</strong> SWF-Bestenliste im August“, in: SZ, 1. 8. 1998, S. 4; [Meldung:]<br />

„Unterm Strich“, in: TAZ, 29. 8. 1998, S. 14; [Meldung:] „SWF-Bestenliste“, in: SZ, 5. 9. 1998, S. 5;<br />

[Meldung:] „Belletristik“, in: Stern 40/1998, S. 266; [Meldung:] „Wieder Walser. <strong>Die</strong> SWR-Bestenliste im<br />

Oktober“, in: SZ, 2. 10. 1998, S. 4; Peter Michalzik, „Das Glasperlenspiel. Wie Suhrkamp in seinem 48. Jahr<br />

von einer Institution zum ganz normalen Buchverlag wurde“, in: SZ, 7. 10. 1998, S. 17; Judith von Sternburg,<br />

„Zausels Kosmos. Authentisch: <strong>Martin</strong> Walser las in der deutschen Bibliothek“, in: Frankfurter R<strong>und</strong>schau<br />

(weiter nur: FR), 10. 10. 1998, S. 26; Verena Auffermann, „Ein versiegender Brunnen. Warum fehlt unseren<br />

Schriftstellern der Mut, <strong>die</strong> kriminellen Energien Deutschlands zu nutzen?“, in: SZ, 10. 10. 1998, S. 19.<br />

8 [Meldung:] „Belletristik“, in: Stern 46/1998, S. 280; [Meldung:] „Keiner liebt sie, jeder liest sie“, in: <strong>Die</strong> Zeit<br />

6/1999, in der CD-Rom-Ausgabe ohne Seitenangabe; [Meldung:] „Zeit-Bestseller“, in: <strong>Die</strong> Zeit 8/1999, in der<br />

CD-Rom-Ausgabe ohne Seitenangabe; Koll., „Buchtips von SZ-Kritikern“, in: SZ, 28. 11. 1998, S. 2.<br />

9 <strong>Die</strong>se ist im Frühjahr 2000 auf Gr<strong>und</strong> der Befragung von 100 „Schriftsteller[n], Kritiker[n] <strong>und</strong><br />

Wissenschaftler[n]“ entstanden. Vgl. [Anonymus,] „Schule. Walser vorn“, in: Der Spiegel 23/2000, S. 197.<br />

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