Augsburger Volkskundliche Nachrichten - OPUS Augsburg ...
Augsburger Volkskundliche Nachrichten - OPUS Augsburg ...
Augsburger Volkskundliche Nachrichten - OPUS Augsburg ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
RELIGIÖSE IDENTITÄT<br />
geführt, wie sie in der Heimat praktiziert wurde. In der Regel sind die Migranten<br />
nach ihrer Ankunft im Aufnahmeland mit vielen Problemen, wie z.B. Behördengängen,<br />
Zurechtfinden am Arbeitsplatz oder in der Unterkunft konfrontiert, die<br />
den Aufbau religiöser Institutionen zunächst in den Hintergrund rücken lassen.<br />
Religiöse Praxis findet - wenn überhaupt - im individuellen Raum statt, wird zur<br />
Sache des Einzelnen und richtet sich danach, inwieweit sie in seinem Ich<br />
verankert ist. Ich habe dabei die ersten syrisch-orthodoxen Arbeitsmigrantlnnen<br />
im Auge. Sie reisten zunächst ohne Familie nach Deutschland ein und umfassten<br />
zum Beispiel in <strong>Augsburg</strong> um 1965 nur 7 Personen. Die in der Heimat gewohnten<br />
täglichen Kirchenbesuche mussten zwangsläufig ausfallen, eine<br />
seelsorgerische Betreuung fehlte gänzlich Erst das Anwachsen der 'community'<br />
durch den Zuzug von immer mehr syrisch-orthodoxen Christen gab den Anstoß<br />
bzw. die Möglichkeit dazu, die eigene religiöse Tradition im Kollektiv zu pflegen.<br />
Nach Martin Baumann bildet die „Anwesenheit oder der Nachzug von Kindern<br />
und Frauen und damit die Frage nach religiös-kultureller Prägung der Kinder in<br />
der fremden Umgebung [...] einen der wichtigsten Faktoren, eigenkulturelle und<br />
religiöse Strukturen aufzubauen." 20<br />
Das Abgleiten in eine Art „Schlummerzustand" zu Beginn der Migration darf<br />
also nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Religion als eines der wichtigsten<br />
Identitätsmerkmale der Migranten gilt, das ihnen verhilft, „ihr individuelles<br />
Selbstbewusstsein und den Zusammenhalt in der Gruppe zu erhalten"- 21 Bei den<br />
syrisch-orthodoxen Migranten war dieses Identitätsmerkmal in der Türkei ein<br />
bedeutendes Abgrenzungskriterium gegenüber der muslimischen Mehrheitsgesellschaft.<br />
Wahrend sie sich in der westlichen Diaspora in einer christlich<br />
geprägten Gesellschaft eher heimisch fühlen konnten, rutschten ihre muslimischen,<br />
türkischen Landsleute in die Rolle der religiösen Minderheit und<br />
mussten sich mit Unverständnis und Ablehnung auseinandersetzen. Die Suryoye<br />
konnten mit einer positiven Verortung ihrer religiösen Identität in der westlichen<br />
Aufnahmegesellschaft rechnen. Das bedeutete aber nicht die Abwesenheit von<br />
Schwierigkeiten in der Ausübung der religiösen Traditionen. Das gemeinsame<br />
Fundament der christlichen Glaubenslehre mit den Höhepunkten im Kirchenjahr<br />
wie Ostern oder Weihnachten heißt nicht, dass sich die jeweilige religiöse<br />
Auslegung und die damit verbundene religiöse Praxis, also Riten und Bräuche,<br />
einfach transformieren lassen. Die syrisch-orthodoxe, religiös-kulturelle Identität<br />
ist eine andere als die katholisch oder evangelisch geprägte religiös-kulturelle<br />
Identität.<br />
In der Migration kann die Verortung religiöser Identität unterschiedliche Formen<br />
10