Augsburger Volkskundliche Nachrichten - OPUS Augsburg ...
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ZEICHEN DER ZEIT<br />
Überlegungen ist stets in Erwägung zu ziehen, dass es mindestens bis in das<br />
ausgehende Mittelalter praktisch ausschließlich der Jahreslauf, der Rhythmus von<br />
Tag und Nacht sowie der in seiner Länge jahreszeitbedingt nicht konstante<br />
Lichttag waren, die das Zeitbe wusstsein der Menschen bestimmten und ihnen die<br />
Richtlinien für ihre Zeiteinteilung vorgaben.<br />
Klöster als Vorläufer des kapitalistischen Umgangs mit der Zeit?<br />
Im europäischen Mittelalter kam den Klöstern eine Vorreiterrolle auf dem<br />
Gebiet der Zeitmessung zu: Die sogenannten kanonischen Horm Matutin, Prim,<br />
Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet gaben die Gebetszeiten vor und gliederten<br />
auf diese Weise den monastischen Tagesablauf von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang,<br />
wobei den drei konstitutiven Elementen klösterlichen Lebens -<br />
Gottesdienst beziehungsweise Lesung, Arbeit und Schlaf - ihr Platz zugewiesen<br />
wurde. Die mit dem Jahreslauf schwankende Länge des Lichttages freilich führte<br />
dazu, dass die Gebetssequenzen unterschiedlich nahe beisammen lagen und<br />
somit auch die Zeitabschnitte zwischen ihnen von uneinheitlicher Dauer waren.<br />
Die genaue zeitliche Lage der Gebetseinheiten lässt sich somit schwer<br />
rekonstruieren, und es hat den Anschein, als sei sie auch in der klösterlichen<br />
Praxis nur von untergeordneter Bedeutung gewesen. Bis heute konnte die Frage<br />
nicht vollends geklärt werden, welcher Hilfsmittel man sich in mittelalterlichen<br />
Klöstern bediente, um den Beginn der nächtlichen Vigilien zu markieren, die<br />
nach Mitternacht einzusetzen hatten und noch in der Nacht zum Abschluss<br />
gebracht werden mussten. In Betracht zu ziehen sind hier wohl Wasser-, Sandund<br />
Kerzenuhren, sowie die Beobachtung des Sternenlaufs, aber auch natürliche<br />
Phänomene wie der sprichwörtlich gewordene Hahnenschrei.<br />
Dem Klosterleben - insbesondere nach benediktinischem Muster - kommt also<br />
aufgrund seiner Regelhaftigkeit gewiss eine Vorreiterrolle in puncto rationeller<br />
Tageseinteilung zu: Das Zeitbewusstsein dort unterschied sich klar von dem der<br />
damaligen Außenwelt, war es doch durch ein hohes Maß an Gleichförmigkeit<br />
und Redundanz sowie durch bewusste Vermeidung von Muße gekennzeichnet.<br />
Es ist also nicht ganz von der Hand zu weisen, dass sich hier bestimmte Verhaltensformen<br />
und -normen der späteren Industriegesellschaft abzeichnen. Und<br />
dennoch Man würde dem mittelalterlichen Klosterleben nicht gerecht, wollte<br />
man es auf einen Prototyp einer Fabrik reduzieren. Man verkennt dann nämlich<br />
die tieferen Dimensionen des monastischen Daseins, für die Begriffe wie<br />
Disziplin und Gehorsam, Askese und Demut stehen. 4<br />
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