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Was ist Leben - Online Media Server

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Erwin Schrödinger - <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Leben</strong>? 19<br />

Vorwort<br />

Bei einem Mann der Wissenschaft darf man ein unmittelbares,<br />

durchdringendes und vollständiges Wissen in einem begrenzten<br />

Stoffgebiet voraussetzen. Darum erwartet man von ihm<br />

gewöhnlich, daß er von einem Thema, das er nicht beherrscht,<br />

die Finger läßt. Das gilt als eine Frage des noblesse oblige. Man<br />

erlaube mir, hier für den vorliegenden Zweck auf die noblesse,<br />

sofern überhaupt vorhanden, zu verzichten und mich von den<br />

an sie geknüpften Verpflichtungen zu befreien. Folgendes <strong>ist</strong><br />

meine Entschuldigung: Wir haben von unseren Vorfahren das<br />

heftige Streben nach einem ganzheitlichen, alles umfassenden<br />

Wissen geerbt. Bereits der Name der höchsten Lehranstalten<br />

erinnert uns daran, daß seit dem Altertum und durch viele<br />

Jahrhunderte nur die universale Betrachtungsweise voll anerkannt<br />

wurde. Aber das Wachstum in die Weite und Tiefe, das<br />

die mannigfaltigen Wissenszweige seit etwa einem Jahrhundert<br />

zeigen, stellt uns vor ein seltsames Dilemma. Es wird uns<br />

klar, daß wir erst jetzt beginnen, verläßliches Material zu sammeln,<br />

um unser gesamtes Wissensgut zu einer Ganzheit zu verbinden.<br />

Andererseits aber <strong>ist</strong> es einem einzelnen Verstande<br />

beinahe unmöglich geworden, mehr als nur einen kleinen spezialisierten<br />

Teil zu beherrschen.<br />

Wenn wir unser wahres Ziel nicht für immer aufgeben<br />

wollen, dann dürfte es nur den einen Ausweg aus dem Dilemma<br />

geben: daß einige von uns sich an die Zusammenschau von<br />

Tatsachen und Theorien wagen, auch wenn ihr Wissen teilweise<br />

aus zweiter Hand stammt und unvollständig <strong>ist</strong> – und sie<br />

Gefahr laufen, sich lächerlich zu machen.<br />

Soviel zu meiner Entschuldigung.<br />

Dublin, September 1944. E. S.<br />

Homo liber nulla de re minus quam de morte cogitat; et eius sapientia non mortis<br />

sed vitae meditatio est.<br />

Spinoza, Ethik<br />

(Der freie Mann denkt über nichts weniger nach als über den Tod; seine Weisheit<br />

liegt darin, daß er nicht über den Tod, sondern über das <strong>Leben</strong> nachsinnt.)

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