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Erwin Schrödinger - <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Leben</strong>? 79<br />
36. Ihre Stabilität <strong>ist</strong> von der Temperatur abhängig<br />
Wir müssen uns mit der Betrachtung eines Punktes zufrieden<br />
geben, der für unsere biologische Frage von allererstem Interesse<br />
<strong>ist</strong>; nämlich der Stabilität eines Moleküls bei verschiedenen<br />
Temperaturen. Nehmen wir an, unser Atomsystem<br />
sei zuerst wirklich im Zustand seiner tiefsten Energie. Der<br />
Physiker würde es ein Molekül am absoluten Nullpunkt der<br />
Temperatur nennen. Um es in den nächsthöheren Zustand<br />
oder auf die nächsthöhere Stufe zu heben, <strong>ist</strong> ein bestimmter<br />
Energiezuschuß notwendig. Der einfachste Versuch, ihn zu<br />
liefern, <strong>ist</strong> das »Aufwärmen« des Moleküls. Man bringt es in<br />
eine Umgebung von höherer Temperatur (»Wärmebad«) und<br />
erlaubt damit andern Systemen (Atomen, Molekülen), gegen es<br />
zu stoßen. In Anbetracht der vollständigen Unregelmäßigkeit<br />
der Wärmebewegung gibt es keine scharfe Temperaturgrenze,<br />
bei welcher der »Hub« mit Sicherheit und sofort bewerkstelligt<br />
wird. Es <strong>ist</strong> vielmehr so, daß der Hub bei jeder (vom absoluten<br />
Nullpunkt verschiedenen) Temperatur eine bestimmte<br />
kleinere oder größere Aussicht hat, sich zu ereignen. Sie<br />
nimmt natürlich mit der Temperatur des Wärmebades zu.<br />
Diese Aussicht läßt sich am besten durch die Angabe der Zeit<br />
ausdrücken, die man durchschnittlich warten muß, bis der<br />
Hub eintritt, der sogenannten »Wartezeit«.<br />
Nach einer M. Polanyi und E. Wigner* zu verdankenden<br />
Untersuchung hängt die »Wartezeit« weitgehend vom Verhältnis<br />
zweier Energien ab. Die eine <strong>ist</strong> die Energiedifferenz selber,<br />
welche benötigt wird, um den Hub zu bewirken (wir wollen<br />
sie mit W bezeichnen), und die andere kennzeichnet die<br />
Intensität der Wärmebewegung bei der fraglichen Temperatur<br />
(wir schreiben T für die absolute Temperatur und kT<br />
für die charakter<strong>ist</strong>ische Energie)*. Es leuchtet ein, daß die<br />
Möglichkeit, den Hub zu bewirken, kleiner und folglich<br />
* Zeitschrift für Physik, Chemie (A), Haber-Band, p. 439, 1928.<br />
** k <strong>ist</strong> eine zahlenmäßig bekannte Konstante, die sogenannte Boltzmannsche<br />
Konstante. 2 / 3 kT <strong>ist</strong> gleich der mittleren kinetischen Energie eines Gasatoms bei<br />
der Temperatur T.