Was ist Leben - Online Media Server
Was ist Leben - Online Media Server
Was ist Leben - Online Media Server
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Erwin Schrödinger - <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Leben</strong>? 75<br />
mit h<strong>ist</strong>orischen Portraits veröffentlicht worden. Das Merkmal<br />
hat sich als echtes Mendelsches »Allel« zur normalen Lippenform<br />
erwiesen. Betrachten wir aufmerksam die Portraits<br />
eines Familienmitglieds aus dem 16. Jahrhundert und eines im<br />
19. Jahrhundert lebenden Nachkommen, so können wir mit<br />
Sicherheit annehmen, daß die stoffliche, für die Mißbildung<br />
verantwortliche Genstruktur von Generation zu Generation<br />
durch die Jahrhunderte übertragen und bei jeder der nicht<br />
sehr zahlreichen dazwischenliegenden Zellteilungen genau<br />
reproduziert worden <strong>ist</strong>. Überdies <strong>ist</strong> die Zahl der in der verantwortlichen<br />
Genstruktur enthaltenen Atome wahrscheinlich<br />
von der gleichen Größenordnung wie in den durch<br />
Röntgenstrahlen geprüften Fällen. Das Gen wurde immer bei<br />
einer gleichmäßigen Temperatur von ca. 36,7 °C gehalten. Wie<br />
sollen wir verstehen, daß es jahrhundertelang der auf Verwirrung<br />
gerichteten Tendenz der Wärmebewegung widerstanden<br />
hat?<br />
Am Ende des letzten Jahrhunderts hätte kein Physiker<br />
diese Frage nur mit Hilfe derjenigen Naturgesetze, welche er<br />
erklären konnte und wirklich verstand, zu beantworten vermocht.<br />
Nach kurzer Überlegung über die stat<strong>ist</strong>ischen Gegebenheiten<br />
hätte er vielleicht (wie wir noch sehen werden, mit<br />
Recht) geantwortet: Diese stofflichen Strukturen können nur<br />
Moleküle sein. Die Chemie besaß zu jener Zeit bereits ein weitreichendes<br />
Wissen über die Ex<strong>ist</strong>enz und die manchmal sehr<br />
hohe Stabilität dieser Atomverbände. Dies Wissen war aber<br />
rein empirisch. Über das Wesen der Moleküle war man sich<br />
noch nicht im Klaren, das starke gegenseitige Band zwischen<br />
den Atomen, welches das Molekül in seiner Gestalt erhält,<br />
war für jedermann ein vollständiges Rätsel. Die Antwort<br />
erwe<strong>ist</strong> sich aber als tatsächlich richtig. Sie <strong>ist</strong> jedoch nur von<br />
beschränktem Wert, solange sich die rätselhafte biologische<br />
Stabilität nur auf eine ebenso rätselhafte chemische Stabilität<br />
zurückführen läßt. Der Beweis, daß zwei scheinbar gleichartige<br />
Merkmale auf demselben Prinzip beruhen, <strong>ist</strong> immer unsicher,<br />
solange das Prinzip selbst noch unbekannt <strong>ist</strong>.