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Erwin Schrödinger - <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Leben</strong>? 77<br />
nuierlich. Ein in Schwingung versetztes Pendel zum Beispiel<br />
wird allmählich durch den Luftwiderstand abgebremst. Seltsamerweise<br />
muß man aber zugeben, daß ein System von atomarer<br />
Größenordnung sich anders verhält. Aus Gründen, auf<br />
welche wir hier nicht eingehen können, müssen wir annehmen,<br />
daß ein kleines System wegen seiner ureigenen Natur<br />
nur bestimmte, abgestufte Energiebeträge besitzen kann, die<br />
als seine besondere Energiestufe bezeichnet werden. Der<br />
Übergang aus einem Zustand in einen andern <strong>ist</strong> ein ziemlich<br />
geheimnisvoller Vorgang, den man gewöhnlich »Quantensprung«<br />
nennt.<br />
Die Energie <strong>ist</strong> aber nicht das einzige charakter<strong>ist</strong>ische<br />
Merkmal eines Systems. Nehmen wir wiederum unser Pendel,<br />
stellen uns aber eines vor, das sich in verschiedener Art bewegen<br />
kann, z. B. eine schwere, mit einem Seil an der Decke<br />
aufgehängte Kugel. Sie kann in nord-südlicher, ost-westlicher<br />
oder in irgend einer andern Richtung, in einem Kreis oder in<br />
einer Ellipse zum Schwingen gebracht werden. Durch vorsichtiges<br />
Blasen mit einem Blasebalg läßt sich die Kugel in kontinuierlicher<br />
Bewegung von einem Bewegungszustand in einen<br />
anderen überführen.<br />
In kleinmaßstäblichen Systemen verändern sich diese oder<br />
ähnliche charakter<strong>ist</strong>ische Merkmale – wir können nicht auf<br />
Einzelheiten eingehen – me<strong>ist</strong>ens diskontinuierlich. Sie sind<br />
»gequantelt«, geradeso wie die Energie.<br />
Die Folge <strong>ist</strong>, daß eine Anzahl von Atomkernen – mitsamt<br />
ihrer Elektronenleibwache – wegen ihrer ureigenen Natur<br />
unfähig <strong>ist</strong>, jede beliebige Anordnung, die wir uns vorstellen<br />
können, einzugehen, wenn sie sich nahe beieinander finden,<br />
wenn sie ein »System« bilden. Ihr ureigenes Wesen läßt ihnen<br />
nur die Wahl aus einer sehr gliedreichen, aber unstetigen<br />
Reihe von »Zuständen«*. Wir nennen diese gewöhnlich Stufen<br />
* Ich folge der gewöhnlich in populären Darstellungen gebotenen Version, welche<br />
für unsere Absicht genügt. Ich habe aber das schlechte Gewissen eines Mannes,<br />
der einen bequemen Irrtum verewigt. In Wahrheit <strong>ist</strong> die Sache sehr viel komplizierter,<br />
insofern als auch mit der gelegentlichen Unbestimmbarkeit in bezug auf<br />
den bestehenden Zustand des Systems zu rechnen <strong>ist</strong>.