Download - Museen in Bayern
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8 Museumsporträt<br />
Menge dokumentarischen Materials (Schrift-, Ton- und Filmdokumente)<br />
und e<strong>in</strong>e Handvoll Exponate, unter denen den zwei<br />
erhaltenen Teilen der orig<strong>in</strong>alen Anklagebänke sicher e<strong>in</strong>e herausragende<br />
Stellung gebührte.<br />
Das Münchener Ausstellungsbüro Müller-Rieger, das 2008 <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Wettbewerb ermittelt wurde, löste se<strong>in</strong>e Aufgabe, hierfür<br />
e<strong>in</strong>e gestalterische Form zu f<strong>in</strong>den, mit e<strong>in</strong>em von Anfang an<br />
überzeugenden Entwurf, der <strong>in</strong> zweijähriger Weiterentwicklung<br />
konsequent umgesetzt wurde. Grundelemente s<strong>in</strong>d knapp 70 von<br />
<strong>in</strong>nen beleuchtete Grafiktafeln, die abwechslungsreich die Bild-<br />
und Text<strong>in</strong>formationen präsentieren. In mehrere Rahmen wurden<br />
zusätzlich Monitore e<strong>in</strong>gekl<strong>in</strong>kt, um die sich die e<strong>in</strong>gespannten<br />
Druckbahnen nahtlos anschließen. H<strong>in</strong>tergrundbilder und Freisteller<br />
verstärken die Raumwirkung. Die Tafeln fügen sich zu e<strong>in</strong>er<br />
Installation, die <strong>in</strong> ihrer Bewegung nicht nur äußerlich mit<br />
den zahlreichen Schrägen und Verstrebungen des Dachgeschosses<br />
korrespondiert, sondern zugleich auch symbolisch das juristische<br />
R<strong>in</strong>gen der am Prozess beteiligten vier Anklägernationen um<br />
adäquate Verfahrensweisen widerspiegelt. So sche<strong>in</strong>en sich die<br />
h<strong>in</strong>terleuchteten Parallelogramme, die sich <strong>in</strong> verschiedene Richtungen<br />
neigen, zu bewegen wie die Papiere, die als Beweismittel <strong>in</strong><br />
die Hand genommen, wie die Protokolle und letztlich die Urteile,<br />
die geschrieben, übersetzt und vervielfältigt wurden. Herrschen<br />
am Beg<strong>in</strong>n des Prozesses noch weitgehend gegensätzliche Bewegungen,<br />
werden sie später ruhiger und weisen e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche<br />
Richtung auf. Ingesamt bleibt der Raum, das Dachgeschoss über<br />
dem historischen Saal 600, weitgehend im Dunklen. Erleuchtet<br />
s<strong>in</strong>d nur die Ausstellungs<strong>in</strong>formationen, die – klar und transparent<br />
– über dem dunklen Boden zu schweben sche<strong>in</strong>en.<br />
In Ermangelung größerer musealer Objektbestände setzten<br />
die Ausstellungsplaner und das Gestalterbüro anderweitig räumliche<br />
Zäsuren. In e<strong>in</strong>er Ecke des Dachgeschossraumes s<strong>in</strong>d die Angeklagten<br />
„versammelt“. Die zwei Hälften e<strong>in</strong>es Großfotos der<br />
Angeklagten im Saal flankieren e<strong>in</strong> Podest, auf dem die schon<br />
erwähnten beiden Teile der Anklagebank stehen. Die Prozessparteien<br />
wiederum werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schematisch nachgezeichneten<br />
„Saal 600“ vorgestellt: E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> den Terrazzoboden e<strong>in</strong>gelassene<br />
Grafik zeigt die ungewöhnliche Sitzordnung von Anklägern, Richtern,<br />
Verteidigern, Zeugen und Dolmetschern; die im Detail <strong>in</strong>formierenden<br />
Bildtexttafeln gruppieren sich <strong>in</strong> Korrelation um die<br />
Bodengrafik herum. Vor den neu durchgebrochenen Öffnungen <strong>in</strong><br />
der Rückwand des Saals 600, die von der Ausstellungsebene e<strong>in</strong>en<br />
E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> den Saal erlauben (sofern dort ke<strong>in</strong>e geschlossene<br />
Verhandlung stattf<strong>in</strong>det), steht e<strong>in</strong> neu gebautes Modell, das den<br />
Zustand des Gerichtsaals nach dem Umbau durch die Amerikaner<br />
1945 dokumentiert. Hier kann der Besucher den damaligen mit<br />
dem heutigen Zustand (nach dem Rückbau <strong>in</strong> den 1960er Jahren)<br />
direkt vergleichen. Nachdem der Prozess medial umfassend<br />
dokumentiert ist, zeigt die Ausstellung auch zahlreiche Ton und<br />
Filmdokumente, die über den Audio-Guide anwählbar s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e<br />
Fülle weiteren, vertiefenden Materials ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zum Verweilen<br />
e<strong>in</strong>ladenden Medienlounge abrufbar.<br />
Das Hauptexponat ist gewissermaßen der Schwurgerichtssaal<br />
selbst. Er erfuhr jedoch ke<strong>in</strong>erlei museal-baulichen Veränderungen,<br />
denn er ist auch heute noch e<strong>in</strong> Ort lebendiger Rechtsprechung:<br />
Da es der größte und vor allem der e<strong>in</strong>zige vollklimatisierte Gerichtssaal<br />
<strong>in</strong> dem – obwohl riesigen, gleichwohl unter Raumnot<br />
leidenden – Nürnberger Justizgebäude ist, nutzt ihn das Oberlandesgericht<br />
Nürnberg an rund 100 Verhandlungstagen im Jahr. In<br />
der verhandlungsfreien Zeit ist er für den Besucher zugänglich,<br />
der sich <strong>in</strong> den Zuschauerbereich setzen und über den Audio-<br />
Guide e<strong>in</strong>e detaillierte Beschreibung anhören kann. Auch wenn<br />
der Saal sich nicht mehr im Bauzustand der Zeit des Nürnberger<br />
Prozesses bef<strong>in</strong>det, umgibt ihn e<strong>in</strong>e Aura des Bedeutungsvollen<br />
– wie sie im Übrigen ja auch für die Durchführung von Schwur-<br />
gerichtsprozessen beabsichtigt ist. Die hohe Holzvertäfelung, die<br />
imposanten Schmuckornamente über den Türen und die Anklagebank<br />
mit dem dah<strong>in</strong>ter liegenden Fahrstuhlzugang rufen schnell<br />
die Bilder <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung, die man von Fotos des Prozesses her<br />
kennt oder kurz vorher im vorhergegangenen Ausstellungsbesuch<br />
betrachtet hat.<br />
Während die heute im Saal 600 stattf<strong>in</strong>denden Verfahren auf<br />
deutschem Recht basieren, waren das Internationale Militärtribunal<br />
und die 12 Nachfolgeprozesse von anglo-amerikanischen<br />
Rechtstraditionen geprägt. Die neue Ausstellung stellt zum Beg<strong>in</strong>n<br />
des Rundgangs die wesentlichen Unterschiede zwischen der<br />
deutschen und der angelsächsischen Rechtskultur dar. Vor allem<br />
aber macht sie deutlich, dass der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess<br />
<strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong> juristisches Novum war:<br />
Erstmals saßen die Vertreter von Staaten, die vollkommenen unterschiedliche<br />
Regierungsformen und Verfassungen auswiesen,<br />
geme<strong>in</strong>sam über e<strong>in</strong>en besiegten Fe<strong>in</strong>d zu Gericht. Statt willkürlich<br />
Rache zu üben, wurde e<strong>in</strong> rechtstaatliches juristisches Verfahren<br />
angestrengt und erstmals <strong>in</strong> der Weltgeschichte Individuen<br />
auf völkerrechtlicher Grundlage persönlich zur Rechenschaft<br />
gezogen. Die <strong>in</strong> den Nürnberger Prozessen verhandelten Verbrechen<br />
stehen <strong>in</strong> engem Zusammenhang mit der NS-Propaganda,<br />
die ihren alljährlichen Höhepunkt auf den Reichsparteitagen <strong>in</strong><br />
Nürnberg fand: E<strong>in</strong>ige derjenigen, die während der Reichsparteitage<br />
<strong>in</strong> vorderster Reihe gestanden hatten, fanden sich nun<br />
auf der Anklagebank wieder. Das Memorium Nürnberger Prozesse<br />
klärt über die Angeklagten, ihre Rolle im nationalsozialistischen<br />
Machtgefüge und die ihnen vorgeworfenen Verbrechen auf. Die<br />
Angeklagten des Hauptkriegsverbrecherprozesses werden anhand<br />
von Biographien vorgestellt, auf die der zwölf Nachfolgeprozesse<br />
wird exemplarisch e<strong>in</strong>gegangen, um den begrenzten Platzverhältnissen<br />
Rechnung zu tragen. Das Verhalten der Prozessbeteiligten<br />
während der Verhandlungen, beispielsweise die Reaktion der Angeklagten<br />
auf die Präsentation der ihnen zur Last gelegten Verbrechen,<br />
schildern Bild-, Ton- und Filmdokumente e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich.<br />
Gerade die Filme vermitteln e<strong>in</strong>en lebendigen E<strong>in</strong>druck vom Prozessgeschehen,<br />
der sich im Zusammenhang mit dem Besuch des<br />
Saals 600 am Ende des Ausstellungsrundgangs noch verstärkt.<br />
Die neue Ausstellung bliebe unvollständig und didaktisch unzureichend,<br />
würde sie nicht darüber h<strong>in</strong>aus auf die Folgen und<br />
das Erbe dieses welthistorischen Novums h<strong>in</strong>weisen und damit<br />
e<strong>in</strong>en Bogen <strong>in</strong> die Gegenwart schlagen. Denn rückblickend s<strong>in</strong>d<br />
die Nürnberger Prozesse zur wichtigsten Stufe der Entwicklung<br />
des Völkerstrafrechts geworden. Ausdruck fand dieses neue Verständnis<br />
<strong>in</strong> den „Nuremberg Pr<strong>in</strong>ciples“, den „Nürnberger Pr<strong>in</strong>zipien“,<br />
im Völkerrecht. Die Generalversammlung der Vere<strong>in</strong>ten<br />
Nationen bekräftigte sie am 11. Dezember 1946 und beauftragte<br />
die „International Law Commission“ mit der Ausformulierung.<br />
Nürnberg wurde letztlich zum richtungsweisenden Leuchtzeichen<br />
für e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>ternationale Rechtsordnung. Auch bei der Schaffung<br />
des Grundgesetzes 1949 spielte es e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Artikel<br />
26 führt aus: „Handlungen, die geeignet s<strong>in</strong>d ... das friedliche<br />
Zusammenleben der Völker zu stören ... s<strong>in</strong>d verfassungswidrig.<br />
Sie s<strong>in</strong>d unter Strafe zu stellen.“ Dies ist e<strong>in</strong>e klare Rezeption des<br />
sechsten Nürnberger Pr<strong>in</strong>zips.<br />
Zwei weitere Ausstellungsräume befassen sich mit den Auswirkungen<br />
der Nürnberger Prozesse. Sie be<strong>in</strong>halten neben dem en<br />
passant <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiten Durchgang dargestellten Internationalen<br />
Militärtribunal <strong>in</strong> Japan e<strong>in</strong>e exemplarische Darstellung der zwölf<br />
Nürnberger Nachfolgeprozesse sowie jener Verfahren, die danach<br />
noch im In- und Ausland jeweils unter nationalem Vorsitz geführt<br />
wurden. Genannt seien hier nur der Eichmann-Prozess (1961) <strong>in</strong><br />
Jerusalem und der Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963-65).<br />
Von zentraler Bedeutung ist die Darstellung der von den 1946<br />
<strong>in</strong> der Generalversammlung der Vere<strong>in</strong>ten Nationen bekräftigten