Michael Brie, Cornelia Hildebrandt, Meinhard Meuche-Mäker - eDoc
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tergangs als große Volkspartei gezwungen sein, sich deutlich nach links zu bewegen<br />
– mit offenem Ausgang. Für die neue Linkspartei würde damit die eigentliche<br />
Herausforderung entstehen – sie hätte zu beweisen, dass sie sozial, politisch und<br />
vor allem auch kulturell tatsächlich weit mehr als ein sozialdemokratisches Korrektiv.<br />
Zweitens gibt es eine breite gesellschaftliche Unterstützung bis weit hinein in<br />
die Wählerschaft der CDU und CSU für Forderungen der Linken. Schon 2003 waren<br />
86 Prozent für eine armutsfeste Grundsicherung, 85 Prozent für eine Umverteilung<br />
von oben nach unten und 80 Prozent für mehr Bürgerbeteiligung. Die zentralen<br />
Forderungen von Oskar Lafontaine, die er im Juni 2007 zur Bedingung<br />
einer Wahl von Kurt Beck zum Kanzler machte, halten 40 Prozent der Bürgerinnen<br />
und Bürger (und 48 Prozent der SPD-Wähler) für völlig richtig und 27 Prozent<br />
(und 30 Prozent der SPD-Wähler) stimmten ihnen zumindest teilweise zu. 62<br />
Prozent der CDU-Wähler sind für einen gesetzlichen Mindestlohn, 75 Prozent der<br />
Unionsanhänger lehnen die Rente mit 67 ab, 55 Prozent der CDU- und 64 Prozent<br />
der CSU-Anhänger waren im Juli 2007 für den Rückzug aus Afghanistan. 39 Zumindest<br />
in einigen Kernpunkten hat ein Richtungswechsel eine deutliche oder sogar<br />
überwältigende Mehrheit in der Bevölkerung. Die Linkspartei vermag es auf<br />
absehbare Zeit, derartige Auffassungen von Mehrheiten fast im Alleinvertretungsanspruch<br />
zu artikulieren. Dies bringt aber alle politischen Kräfte unter immer stärkeren<br />
Handlungsdruck.<br />
Der Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Emnid fasst diese Entwicklung<br />
so zusammen: »Was ist seit PDS-Zeiten, als sie im Osten auf knapp 20<br />
Prozent der Stimmen kam, anders geworden? Fast alles. Vor allem: Die Aussortierten<br />
haben mit Hartz IV endlich ein Symbol für Wut und Willen, sich für ihren<br />
linken Traum von der anderen Gesellschaft zu engagieren. Plötzlich ist nicht mehr<br />
ducken die Reaktion, sondern offene Opposition. Vor allem gegen die so genannte<br />
Sozialdemokratie: Denn in dem Maße, wie die SPD ihre Sozialkompetenz verlor,<br />
gewann die Linke an Daseinsberechtigung hinzu. Je stärker die SPD an der Verteilungsgerechtigkeit<br />
in Zeiten der Globalisierung zweifelt, je besser kommt ‚Solidarität’<br />
als politische Botschaft der Linken an. Vor allem, so lange nicht genügend<br />
Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, wie 78 Prozent im Osten meinen. Hartz<br />
IV ist Synonym der Wut auf Politik und Wirtschaft für deren Verlust an Bodenhaftigkeit,<br />
auf die Forderung vieler Unternehmer nach Managergehältern wie in<br />
Amerika, Arbeitslöhnen wie in China und Unternehmensgewinne durch Arbeitsplatzvernichtung.<br />
Und Ursache für den entscheidenden Akzeptanzwandel der Linken.<br />
Aus der Protestpartei PDS wurde die Programmpartei Linke, weil diese im<br />
Osten die Ziele der ›guten alten SPD‹ hoch hält.« 40<br />
39 http://www.welt.de/politik/article1007014/Unionswaehler_schliessen_sich_Lafontaine_an.html?print=yes.<br />
40 Klaus-Peter Schöppner: »Der Humus der Linken« – Stärkste Kraft im Osten, erster Erfolg im Westen: Warum aus<br />
der Protestpartei PDS eine Programmpartei werden konnte. In: Leipziger Volkszeitung vom 3. August 2007.<br />
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