Michael Brie, Cornelia Hildebrandt, Meinhard Meuche-Mäker - eDoc
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Auswertung der Interviews 14<br />
Parteien bilden sich nicht aus heiterem Himmel. Es bedarf gesellschaftlicher Konflikte,<br />
die so gravierend sind, dass sie relevante Teile der Gesellschaft berühren<br />
und polarisieren. Das gegenwärtige bundesdeutsche Parteiensystem wird geprägt<br />
durch »eine zweidimensionale Polarisierung, d. h. der Parteienwettbewerb wird<br />
durch zwei wesentliche Konfliktdimensionen geprägt: eine sozio-ökonomische –<br />
vor allem in Gestalt des Sozialstaatskonflikts – und eine politisch-kulturelle Konfliktdimension«<br />
15 . Parteien kommt in diesen gesellschaftlichen Konflikten mit den<br />
Polen soziale Gerechtigkeit vs. Marktfreiheit und Autoritarismus vs. Liberalismus<br />
die Aufgabe zu, spezifische Interessen und Zielvorstellungen zu artikulieren, sie<br />
in politische Konzepte umzusetzen und an der innergesellschaftlichen Konfliktaustragung<br />
teilzunehmen. Die in der Gesellschaft vorherrschenden Konfliktlinien<br />
prägen insofern auch die Parteien und bestimmen ihre Identität.<br />
Für die relativ erfolgreiche Geschichte der PDS war die Verankerung auf kommunaler<br />
und regionaler Ebene, ihre Etablierung als linke Volkspartei im Osten der<br />
Republik ausschlaggebend. Sie konnte sich seit Beginn der neunziger Jahre an der<br />
für die ostdeutsche Teilgesellschaft besonders relevanten Konfliktlinie des innerdeutschen<br />
Ost-West-Konflikts entwickeln. Oder anders formuliert: Die PDS hat<br />
die parallel hierzu wieder stärker wirkende sozio-ökonomische Konfliktlinie als<br />
Ost-West-Konflikt ausgetragen. Zugleich wurde sie damit aber nicht zur gesamtdeutschen<br />
linken Kraft und fand keine Möglichkeit, bundesweit Einfluss deutlich<br />
oberhalb von fünf Prozent zu generieren. Zudem versäumte sie, »die personellen,<br />
inhaltlich-programmatischen und koalitionsstrategischen Voraussetzungen für<br />
eine Verstetigung ihres Wählerpotentials zu schaffen« 16 und scheiterte 2002 an der<br />
Fünf-Prozent-Hürde. Auch wenn der Ost-West-Konflikt länger bestehen bleiben<br />
wird, »ist er nicht die Grundlage für eine gesamtdeutsche Linkspartei« (G5).<br />
Der Ost-West-Konflikt seit Beginn der 90er Jahre wäre insofern eine notwendige,<br />
aber in keiner Weise ausreichende Grundlage für die Herausbildung einer<br />
neuen Linkspartei gewesen. Erst die deutliche Verschärfung sozialer Spaltungslinien<br />
– der »Revitalisierung der ökonomischen Konfliktdimension im Parteiensystem<br />
in Gestalt des Sozialstaatskonflikts« 17 – in der ganzen Gesellschaft, die Umprofilierung<br />
von SPD und Grünen und der damit einhergehenden Einschränkung<br />
sozialdemokratischer Hegemonie ermöglichte die Erweiterung des Parteiensy-<br />
14 Im Text wird Zwecks leichterer Unterscheidbarkeit und Charakterisierung der Herkunftsorganisationen von PDSbzw.<br />
WASG-Akteuren gesprochen – wohl wissend, dass sich die Interviewten vermutlich längst als Mitglieder<br />
einer gemeinsamen Partei verstehen. Die Zitate aus den Interviews werden kursiv in den Text eingefügt.<br />
15 Oskar Niedermayer: Die Veränderungen des deutschen Parteiensystems. In: <strong>Michael</strong> <strong>Brie</strong>, <strong>Cornelia</strong> <strong>Hildebrandt</strong><br />
(Hrsg.): Parteien und Bewegungen. Die Linke im Aufbruch. Berlin 2006, S. 103.<br />
16 Ebenda, S.104.<br />
17 Oskar Niedermayer: Die Entwicklung des bundesdeutschen Parteiensystems. In: Frank Decker, Viola Neu<br />
(Hrsg.): Handbuch der deutschen Parteien. Wiesbaden 2007, S. 128.<br />
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