Band 29 - thule-italia.net
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harmonisch, so voll, so rein, so ganz ohne jede Spur von Dissonanz. Ich sprach weiter und weiter, nur um<br />
diese Lippen antworten zu hören, aus denen nichts Trübes, nichts Entweihtes klingen konnte. Es war, als ob<br />
ich ihr alle meine Gedanken hinübergeben müsse, um sie geläutert und geklärt dann wieder in Empfang zu<br />
nehmen. Hatte Marah Durimeh das gewußt, als sie schrieb, daß ich der Geist sein solle, sie aber die Seele,<br />
meine Schwester? Psychologie, nicht theoretisch, sondern praktisch gelehrt! Nicht aus wissenschaftlichen<br />
Leitfäden getüftelt, sondern aus dem Geistes- und Seelenleben direkt und ohne Deutelei herausgegriffen!<br />
So saßen wir viel länger, als ich beabsichtigt hatte, beieinander, bis Kara Ben Halef mit seinem Barkh kam<br />
und mir meldete, daß es ihm gelungen sei, meinen Auftrag auszuführen, ohne von Jemand gesehen zu<br />
werden. Er habe die betreffende Stelle genau untersucht und sei überzeugt, daß kein anderer Fuß sie<br />
inzwischen betreten habe. Da es Zeit zum Abendessen war, so forderte ich ihn auf, mit uns zu kommen, um<br />
an demselben teilzunehmen. Er lehnte aber ab, weil er für die langsame Abkühlung Barkhs zu sorgen habe,<br />
damit dieser ja nicht etwa verschlage. Er war in Allem, was in seinen Händen lag, so wohlbedacht, gewiß<br />
mehr ein Erbteil von seiten seiner Mutter als seines Vaters, des oft nur allzu schnellen Hadschi, dessen<br />
lebhaftes Temperament der ruhigen Ueberlegung gern aus dem Wege ging.<br />
Nach dem Essen zog ich mich hinauf zu mir zurück, um Alles, was ich von den Sachen des Ustad zu<br />
verbrennen hatte, einer vorherigen Prüfung zu unterwerfen. Ich gewann da einen tiefen Einblick in sein<br />
Leben, in sein menschenfreundliches Wollen und Empfinden. Die Zeitungen widerten mich an. Ich hatte<br />
erklärt, sie nicht durchlesen zu wollen, und tat es auch nicht. Aber indem ich die Blätter einzeln durch<br />
meine Hände gehen ließ, blieb mein Auge doch zuweilen an dieser oder jener Stelle haften, und dann flog<br />
der zerknitterte Bogen so weit wie möglich fort von mir. Man sollte es kaum für möglich halten, mit was<br />
für Quatsch und Tratsch und Klatsch sich jenes sonderbare Wesen befaßt, welches denen, die es besitzen,<br />
weißmacht [weismacht], daß sie geistreich seien! Wenn der Ustad das Alles wirklich durchgelesen hatte, so<br />
war es sicher eines der größten Wunder, daß er der Menschheit seine Liebe noch immer treu bewahrte. Es<br />
muß doch etwas Großes um die wahre, nicht geheuchelte, sondern wirklich aus dem Herzen wirkende<br />
Humanität sein, wenn sie die Kraft besitzt, auf ihrem allgemein menschlichen Standpunkte selbst gegen<br />
diejenigen Widersacher auszuhalten, die sich nicht scheuen, nur mit den Waffen des Sonderinteresses<br />
anzugreifen und dabei doch zu versichern, daß sie die Verfechter der allgemeinen Menschheitsrechte, des<br />
edlen Menschentums seien. Hinweg also mit diesen Elaboraten! Ich warf sie auf den Herd, brannte sie an,<br />
und als die Flamme emporschlug, flog auch die »Rechtfertigung« hinein, die ganz ohne allen Grund<br />
geschrieben worden war.<br />
Nachdem ich mich hierauf noch einige Zeit mit den Werken des Ustad beschäftigt hatte, ging ich schlafen<br />
und wachte nicht eher auf, als bis draußen an meine Tür geklopft wurde. Daß man mich weckte, mußte eine<br />
sehr triftige Ursache haben. Ich stand auf und öff<strong>net</strong>e. Der Pedehr war es.<br />
»Verzeihe, Effendi, daß ich dich wahrscheinlich im Schlafe gestört habe!« sagte er. »Es wird nicht lange<br />
dauern, so ist der Scheik ul Islam da.«<br />
»So zeitig? Woher weißt du es?« erkundigte ich mich.<br />
»Ich sprach gestern abend noch mit dem Chodj-y-Dschuna. Er hielt es für gut, zu wissen, woran man sei.<br />
Darum ist er dann fortgeritten, in der Richtung nach Chorremabad. Er kam bis an den Grenzduar der<br />
Dschamikun und erfuhr, daß der Scheik ul Islam dort übernachte und heute mit dem frühesten Morgen<br />
aufbrechen wolle. Er gebot Verschwiegenheit und ist nun hier, weil du gewünscht hast, daß er anwesend<br />
sei. Sonst aber weiß Niemand davon. Wirst du jetzt herunterkommen ?«<br />
»Nein. Schicke mir das Frühstück herauf! Wer kommt Alles mit?«<br />
»Es sind, Herren und Diener zusammen, fünfzehn Personen, alle sehr gut beritten und bewaff<strong>net</strong>. Man hat<br />
ihnen dort im Duar gesagt, daß kein Fremder ohne die besondere Erlaubnis des Ustad bei uns Waffen<br />
tragen dürfe, sondern sie abzugeben habe, sobald er das Gebiet der Dschamikun betritt. Sie haben sich aber<br />
geweigert, dies zu tun.«