Band 29 - thule-italia.net
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Heuladungen im größten Eifer und eng neben einander herrennen, bis der Weg zwischen Berg und See zu<br />
eng wurde und sie beide miteinander stecken blieben. Der allerschnellste dieser Renner war den andern<br />
weit vorausgekommen und schien nun der guten Ueberzeugung zu sein, seinen Zweck erreicht zu haben. Er<br />
hatte sich also gemütlich auf die Mutter Erde niedergelassen und ließ Alles, was aus dem Munde seines<br />
Besitzers kam, in größter Seelenruhe über sich ergehen, ohne weiter ein Glied zu rühren. Das gab<br />
selbstverständlich Veranlassung zur größten Heiterkeit. Die liebe Jugend machte natürlich mit, was aber<br />
keineswegs dazu beitrug, die zwei Dutzend Kamelbeine von dem Werte der kostbaren Zeit zu überzeugen.<br />
Dschafar segelte mit dem Chodj-y-Dschuna nebenher, um das Schauspiel aus sichrer Entfernung zu<br />
genießen, bis sich alle Kamele niedergelegt hatten und keines weiter fortzubringen war. Da kam er nach<br />
dem Duar zurück und versicherte uns, noch nie im Leben so gelacht zu haben wie heut. Nachdem er diesen<br />
Ausgang des Kampfes gesehen habe, verspreche er sich von dem Rennen nun überhaupt sehr große Dinge<br />
und sei erfreut, grad am »Feste der fünfzig Jahre« zu den Dschamikun gekommen zu sein!<br />
Der Chodj-y-Dschuna teilte mir mit, daß man mich als Rekonvaleszenten bisher nicht habe belästigen<br />
wollen. Nun aber bitte er mit dem Pedehr um die Erlaubnis, mich über Alles, was sich auf das Fest<br />
beziehen sollte, unterrichten und fragen zu dürfen. Wir gingen infolgedessen nach seiner Wohnung und<br />
hielten das ab, was man in Deutschland, wo es bekanntlich keine Fremdwörter gibt, als eine<br />
Komiteesitzung bezeichnen würde. Es gab keinen einzigen Punkt, dem ich nicht zustimmen konnte, was<br />
den braven Chodj-y-Dschuna so erfreute, daß er den Mut bekam, uns zum Essen einzuladen. Das war um<br />
die Mittagszeit, und so nahmen wir es an. Ich ging aber vorher hinauf, um Syrr zu füttern und beauftragte<br />
Kara, mir dann meinen Assil und das Pferd des Mirza herabzubringen, weil ich einen etwas weiteren<br />
Spazierritt versuchen wolle, an dem auch er teilnehmen möge.<br />
Wir dehnten diesen Spazierritt auf über zwei Stunden aus, ohne daß ich mich, als ich heimkehrte, von ihm<br />
ermüdet fühlte. Ich glaubte also, mir für heut Abend auch noch eine weitere Anstrengung zumuten zu<br />
können, und sagte Kara also, daß wir gegen Mitternacht den Aschyk aufsuchen würden; er solle sich also<br />
bereithalten und alles dazu Nötige besorgen.<br />
Bis zu dieser Zeit geschah nichts, was einer besonderen Erwähnung bedarf. Ich brachte die Zeit nach dem<br />
Abendessen absichtlich bei Dschafar zu, weil ich da gehen konnte, wenn es mir beliebte. Wäre aber er bei<br />
mir gewesen, so hätte ich warten müssen, bis er sich entfernte. Kara stand bereit. Der Weg durch das große<br />
Eingangstor wäre kürzer gewesen; aber ich hatte Gründe, den Umweg über die Ruinen zu wählen. Ich<br />
wollte ihn mir in allen seinen Einzelheiten so einprägen, daß ich ihn später des Nachts nicht nur gehen[,]<br />
sondern auch sicher reiten konnte. Ich hatte nämlich die Absicht, Syrr heimlich einzuüben, und das war nur<br />
dann möglich, wenn alle Leute schliefen.<br />
Wir gingen also im Mondscheine über das Gemäuer und dann den Steinbruchweg hinunter nach der<br />
Landestelle. Das Boot war da. Wir kamen in den Kanal und aus diesem in das vordere Bassin, ganz so wie<br />
die vorigen Male. Ich hatte erwartet, daß unser Gefangener vor Freude laut aufschreien werde. Es blieb<br />
aber still, obgleich wir so laut ruderten, daß die Schläge wie Meeresrauschen von den Säulen widerhallten.<br />
»Er ist tot!« sagte Kara. »Herabgefallen und ertrunken!«<br />
»Möglich. Wir werden ja sehen.«<br />
Wir kamen schnell näher. Er mußte trotz der tiefen Finsternis nun auch unser Licht sehen. Und doch hörten<br />
wir nichts von ihm! Nun sahen wir die Säule und den Stein. War der Aschyk noch da? Ja. Er saß oben.<br />
Still. Hüben das Gerippe und drüben er. Wir hatten absichtlich nicht eine, sondern zwei Fackeln brennen.<br />
Es war also so hell, daß wir sein Gesicht, seine Züge deutlich erkennen konnten. Er lehnte mit dem Rücken<br />
an der Säule. Seine Augen waren geschlossen. Als das Boot stand und wir die Ruder einzogen, sagte er in<br />
mir ganz unbegreiflich ruhigem Tone:<br />
»Ihr kommt wieder. Ich wußte es! Ahnst du, was ich da tat ? Nein! --- Ich habe gebetet!«