Band 29 - thule-italia.net
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Er folgte mir so schnell, wie ich ihm voranstieg. Oben bei mir angekommen, nahm ich ihm das Licht aus<br />
der Hand und brannte zunächst die Lampe wieder an, welche er der Perser wegen hatte auslöschen müssen.<br />
Als dies geschehen war, bat ich ihn, sich aufrecht vor mich hinzustellen. Ich nahm ihn mit frohem Blicke<br />
von oben bis unten in die Augen und sagte dann:<br />
»Es ist mir mit dir grad so ergangen, wie es so manchem Menschenkind mit seinem Geist ergeht. Es kennt<br />
ihn nicht, bis ihn der Feind ihm zeigt. Ich wußte nichts von dir, bis mich die Massaban auf jene Spuren<br />
führten, an denen ich zum erstenmal den Namen Ustad hörte. Man sprach von dir als dem<br />
"Geheimnisvollen", von dem man ja "nichts Schlechtes sagen dürfe". Sie schienen dich nicht bloß zu<br />
achten, sondern auch zu fürchten, und dennoch hegten sie nur Feindschaft gegen dich, weil sie als<br />
"Unglückselige" dich ja doch hassen mußten. Dann traf ich den Pedehr, der mir nicht trauen wollte. Er<br />
nahm die Flucht vor mir, doch holte ich auf meinem Pferd das deinige schnell ein. Es war fast wie bei<br />
jenem Morgenritt im Märchen Danyseh, wo das schnellste Pferd des Menschengeistes von dem<br />
silberweißen Roß der Menschenseele überholt wird. Als ich hierauf mit ihm sprach, hörte ich zum<br />
zweitenmal von dir. Ich begann, in meiner Phantasie nach einem Bild von dir zu suchen. Dann warf mich<br />
jene schwere Krankheit nieder, von der ich hier bei dir erstanden bin. Ich lag bewußtlos, ohne Thätigkeit<br />
des Geistes. Da begann ich, zu erwachen. Es legte sich eine Hand auf meine Stirn, und dabei war es mir, als<br />
ob von ihr eine gütig reine, immaterielle Kraft ausströme und dann durch mein ganzes Wesen gehe. Und<br />
eine tiefe Stimme sprach die Worte: "Der Herr behüte deinen Eingang und deinen Ausgang von nun an bis<br />
in Ewigkeit. Amen!"«<br />
»Das war ich,« sagte der Ustad.<br />
»Ja, du warst es. Du kamst noch oft, wenn ich nicht wachte. Dann hatte ich einen Traum. Oder war es ein<br />
Gesicht? Ich befand mich im Haine Mamre, bei der Eiche Abrahams. Da trat die hohe Gestalt des Erzvaters<br />
leuchtenden Auges vor mich hin und grüßte mich: "Friede sei mit dir!" Und als ich das meinige öff<strong>net</strong>e,<br />
standest du vor mir, breitetest deine Hand wie segnend über mich aus und sprachst ganz dieselben Worte.<br />
Darum wuchsest du in meinen Fieber- und dann auch in den Genesungsträumen dich in mir zum Ebenbilde<br />
jenes ausgewanderten Chaldäers aus, welchem der Herr einst die Verheißung gab: "Ich werde dich zum<br />
großen Volke machen!" Als ich mich dann so weit erholt hatte, daß ich mich erheben und draußen vor der<br />
Halle sitzen konnte, da kamst du zu mir, und was und wie du da sprachst, das war im Geist des ersten<br />
Testaments gesprochen, der sich im zweiten die Verklärung holte. Nun kam das Heut, der Dankestag.<br />
Hättest du in mir noch höher wachsen können, so wäre das da drüben bei eurem "Gotteshaus" gewiß<br />
geschehen. Du zeigtest dich dort Ahriman nicht nur gewachsen, sondern überlegen. Ich schaute zu dir auf,<br />
fast staunend, möcht ich sagen! Es stieg der Wunsch in meinem Herzen auf, so groß zu sein und auch so<br />
rein wie du. Das war wohl auch der mir nicht klar bewußte Grund, daß ich dann jene Beichte sprach, die<br />
mich befreien sollte. Ich wollte deiner würdig sein, ganz still, in meinem Innern!«<br />
»Mein Freund, mein lieber, lieber Freund!« rief er gerührt aus.<br />
»Warte,« bat ich, »und höre weiter! Es wurde Abend. Da stellten sich die finstern Schatten ein. Du zogst<br />
sie aus der früheren Zeit herbei und warfst sie leider über deine Gegenwart. Das Licht verschwand.<br />
Du wurdest mir fast dunkel. Du ließest diese deine Schatten wachsen. Sie nahmen jene Riesengröße an, von<br />
welcher du bei deinem "Sonnentage" sprachst! Du aber wurdest kleiner, in meinen Augen immer, immer<br />
kleiner! Ich sträubte mich dagegen, doch vergeblich. Ich wollte dich, die Hochgestalt, nicht lassen. Und<br />
dennoch thatst und sprachst du alles, was dich gering und winzig machen mußte. Du warst für mich nicht<br />
mehr der "Abraham von Erz", an dem kein Schatten fressen, kein Schemen rütteln kann. Du hattest dich in<br />
jenen schnellen Hasenfuß verwandelt, der, wenn das dunkle Abbild eines Baumes, die Sonne fliehend, auf<br />
sein Lager fällt, rasch auch die Flucht ergreift und, blind vor Angst, im allerschnellsten Lauf von dannen<br />
jagt, um seine Feigheit in den Busch zu retten.«<br />
»Maschallah!« verwunderte er sich jetzt. »Diesen Eindruck habe ich auf dich gemacht, nur diesen?«