04.11.2013 Aufrufe

Band 29 - thule-italia.net

Band 29 - thule-italia.net

Band 29 - thule-italia.net

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Aufgange nahe. Die Alabasterkrone hoch oben lag bereits in vollster, goldiger Glut. Sie flimmerte wie von<br />

millionen Diamanten und Rubinen. Aber tief unter ihr war es unheimlich, denn da begann es sich zu regen<br />

und zu bewegen, und man konnte doch nicht deutlich erkennen, wo und wie. Es war wie ein langsames<br />

Wiegen hin und her. Hier und hier und dort und da schütterte und verschwand der Boden in sich hinein, in<br />

die Tiefe, wie durch sich bildende Schächte. Wir hörten einen Knall, als ob die Erde von innen heraus<br />

auseinandergesprengt werde. Es folgte ein steinernes Knacken und Prasseln, wie von einem gigantischen<br />

Ungeheuer, welches Berge verzehrt und die Felsenknochen derselben mit den Zähnen zermalmt. Und da -<br />

da -- da tat sich vor unsern Augen da drüben ein furchtbarer Rachen auf und begann die Ruinen mitsamt<br />

den herabgestürzten Höhenmassen zu verschlingen! Und während sie in diesem heißhungrigen, gefräßigen<br />

Schlund verschwanden, schoß ihm das emporgetriebene Wasser der Tiefe über die Lefzen und wurde zu<br />

gleicher Zeit mit einer solchen Gewalt aus dem Kanal in den See gepreßt, daß es sich wie ein beutegieriger,<br />

springender Leviathan über seine Fläche stürzte und erst weit draußen verendend niedersank.<br />

Wir aber achteten weder auf den jetzt plötzlich in hohen Wellen gehenden See, in den sich der ganze Inhalt<br />

der unterirdischen Bassins zu ergießen hatte, noch auf sonst etwas Anderes, sondern nur auf eine einzige<br />

Stelle, die unsere Aufmerksamkeit in fast wunderbarer Weise gefangennahm. Wir sahen von den Ruinen<br />

nur noch die vordere Mauer. Alles, was hinter und über ihr gelegen hatte, war verschwunden, in ein<br />

vollständig ebenes Feld verwandelt, fast genau so, wie es von der Kirchenzeichnung des Ustad dargestellt<br />

wurde. Und grad da, wo auf dieser Zeichnung im Hintergrunde der Säulenhalle das leere Postament stand,<br />

leuchtete uns die herrliche Alabastergestalt des durch die Katastrophe nun endlich erlösten »verzauberten<br />

Gebetes« entgegen. Vom dunkeln Hintergrunde der Nische uns doppelt hell gezeigt, streckte es seine<br />

emporgehobenen Arme dem Aufgange der Sonne entgegen, um mit offenen Händen den Segen zu nehmen<br />

und zu spenden, in den der tausendjährige Fluch verwandelt worden war. Und wie sie nun emporstieg, die<br />

ersehnte Sonne, so kam ihr Licht von der funkelnden Alabasterkrone hernieder, wie auf Engelsschwingen<br />

getragen, die sich hold und froh zur Erde senken. Sie küßte die Stirn, die Wangen, den Mund des genau<br />

unter dieser Krone stehenden Gebetes und floß dann über das ganze Tal, um zu verkünden, daß es bisher<br />

nur Morgen gewesen, nun aber endlich und wirklich Tag geworden sei.<br />

Der Ustad sprach kein Wort. Er hatte meine Hand ergriffen und drückte sie mir so, daß es allerdings keiner<br />

Worte bedurfte, ihn zu verstehen. Um so lauter waren die hinter uns Stehenden. Ihr Dogma zwang sie, die<br />

auf so rätselhafte Weise erschienene Figur als einen Greuel zu betrachten, denn Allah hat verboten, von<br />

beseelten Wesen Bilder anzufertigen. Wer vor Bildern betet, ist ein Götzendiener. Wer aber gar Bilder<br />

selbst beten läßt, der ist ein Gotteslästerer, wie es keinen größern geben kann. Sie sagten das ganz ungeniert<br />

und in so scharfen Ausdrücken, daß ich die Selbstbeherrschung des Ustad bewunderte, der sich zu ihnen<br />

umdrehte und sie fragte, was sie eigentlich hier an dieser Stelle zu suchen hätten. Da öff<strong>net</strong>e der Selige den<br />

Mund und hielt seine Rede, deren Grundgedanke die Behauptung war, daß kein Einziger von ihnen jemals<br />

daran gedacht habe, irgend etwas Feindseliges gegen die Dschamikun zu unternehmen. Sie seien keine<br />

Feinde und also augenblicklich freizulassen. Zur Bekräftigung gebe er im Namen Aller sein Ehrenwort, daß<br />

er die Wahrheit gesprochen habe.<br />

»Im Namen Aller? Wirklich?« fragte der Ustad, indem er sie anschaute und sein Auge auf jedem Einzelnen<br />

ruhen ließ.<br />

Da erhoben sie ihre Hände zum Zeichen der Bejahung, keiner von ihnen ausgenommen. Der Ustad nickte<br />

mir und Kara zu, ihm zu folgen. Er ging, ohne Antwort zu geben. Wir bestiegen unsere Pferde und ritten<br />

nach dem Duar. Unten angekommen, teilte er dem Oberleutnant mit, daß die Gefangenen frei seien, aber<br />

das Gebiet der Dschamikun sofort zu verlassen hätten.<br />

»Frei?« rief Kara, der sich doch nicht halten konnte, fast zornig aus. »Sie haben ja bei ihrer Ehre gelogen,<br />

alle, alle! Der Selige, der Heilige, der Imam, die Generale und sämtliche Taki, vom Ersten bis zum<br />

Letzten!«<br />

»Das weiß ich ebenso gut, wie sie es selbst auch wissen,« antwortete der Ustad lächelnd. »Aber grad darum<br />

gebe ich sie frei, denn solche Ehrenmänner möchte ich nicht einmal als Gefangene bei mir haben! Verstehst

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!