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Band 29 - thule-italia.net

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Wie kam es doch, daß dieses Wort, dieses letztere, mich innerlich so packte, als ob in mir Etwas hierauf<br />

vorbereitet gewesen sei! War es infolge des Traumes, an den ich sogleich dachte? Mußte sich hier, in dieser<br />

tiefen, dunkeln Verlassenheit, denn Alles, Alles, selbst die ärgste Verkalkung und Verhärtung, schließlich<br />

doch und doch noch zum Gebet verwandeln? Nicht nur im Traume, sondern auch in der Wirklichkeit? Er<br />

wartete ein Wenig, und als ich nichts antwortete, fuhr er fort:<br />

»Effendi, ich will beichten - beichten -- beichten! Ich will nicht nur, sondern ich muß - ich muß -- ich<br />

muß!«<br />

»Doch wieder wohl nur Lügen!« sagte ich.<br />

»Lügen? Hier? Effendi, hier hat jede Lüge entweder zum Wahnsinn zu werden oder sich in Wahrheit zu<br />

verwandeln. Außer diesen beiden gibt es kein Drittes. Nun prüfe, ob ich wahnsinnig geworden bin! Wenn<br />

nicht, so ist nur Wahrheit zu erwarten!«<br />

»So sag vorerst, wie du zu dieser mir ganz unverhofften Ruhe kommst!«<br />

»Wie ---? Welch eine Frage! Wenn nicht hier, wo soll man dann wohl ruhig werden! Hier wird ja Alles,<br />

Alles, Jedermann zu Stein! Entweder zum gemeinverkalkten Tode, oder zum edlen Alabaster, an dem die<br />

aus dem Kalk erlösten Geister arbeiten, bis er -- beten lernt! O, Effendi, ich schlief hier ein, ermüdet vom<br />

Rufen, Schreien, Brüllen. Da kam ein Traum -- ein Traum! Ich hatte tausend Jahre, tausend Jahre lang hier<br />

im Wasser gelegen, verhärtet und verkalkt in meinen Sünden. Niemand wollte mich retten, und ich selbst<br />

konnte es nicht. Da kam ein Ruf von oben, einmal - zweimal -- dreimal; der weckte mich. Ich antwortete,<br />

daß alle Säulen klangen. Da war es oben still; aber in mir, in mir, tief unten, da wurde es laut und laut und<br />

immer lauter! Da kamen die Tage mein Lebens, einzeln, furchtbar einzeln, einer nach dem andern! Sie<br />

klagten mich nicht an, nein nein, nein nein! Das tat ich ja schon selbst! Sie gaben gute Worte! Ein jeder,<br />

jeder, jeder von ihnen kniete im Büßergewande neben mir nieder, griff nach meiner Hand und drang in<br />

mich, mit ihm zu beten, zu beten, zu beten! Und als sie alle um mich lagen, alle, alle, vom ersten bis zum<br />

letzten, da kniete ich inmitten meines Lebens und faltete die Hände wie sie alle. Und als ich sprach:<br />

"Vergieb mir meine Sünden!" Da [da] hörte ich erst Eure Ruderschläge, und dann sah ich auch Eures<br />

Lichtes Schein! Was Ihr mir bringt, das habe ich zu nehmen. Doch bitte ich, seid nicht auch Ihr von Stein!«<br />

Als er geendet hatte, lauschte ich noch immer. Es war, als ob das, was aus ihm gesprochen hatte, nun in mir<br />

weiterrede. »Tausend, tausend Jahre hier im Wasser gelegen!« hatte er gesagt. Nur zwei Erdentage, für den<br />

Geist, die Seele aber tausend, tausend Jahre! Welcher Mensch kann behaupten, gerecht zu richten! Der<br />

Buchstabe des Gesetzes behandelt alle gleich. Aber die Gerechtigkeit liegt nicht im gleichen Strafquantum;<br />

in diesem ist vielmehr ihr Gegenteil, die Ungerechtigkeit zu suchen. Denselben Tatbestand vorausgesetzt,<br />

wird der Eine nicht durch zwanzig Jahre Zuchthaus gebessert, der Andere aber schon durch einen einzigen<br />

Tag Gefängnishaft. Hätte für den Letzteren dann nicht die Strafe aufzuhören? Es war von mir die<br />

füchterlichste Strenge gewesen, den Aschyk hierher an diesen Ort zu detinieren. Ich sah und hörte jetzt, daß<br />

es genau die beabsichtigte Wirkung hervorgebracht hatte. Eine Verlängerung seiner Qual wäre nicht nur<br />

Grausamkeit, sondern geradezu Unmenschlichkeit gewesen. Darum antwortete ich ihm jetzt:<br />

»Der Menschheitsjammer muß sogar den Stein erbarmen, warum nicht auch den Menschen selbst! Wenn<br />

du gebetet hast, so ist mein Zweck erreicht. Ich führe dich hinaus.«<br />

»Das wolltest du? Du, Du, der von mir betrogen werden sollte, wie kaum vorher ein Anderer?«<br />

»Was du an Andern tatest, das habe nicht ich zu richten. Was du mit mir vorhattest, da sei dir gern<br />

vergeben. Hier hast du meine Hand. Komm herab!«<br />

Ich richtete mich auf und streckte sie ihm entgegen, um ihm herabzuhelfen. Er griff nicht sofort zu, er<br />

sagte:

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